Seite - 14 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 14 -
Text der Seite - 14 -
14 Akteure in Agrarsystemen
lungsweisen der Vielen
– mithin deren (Inter-)Aktionen in Form strukturierter und
strukturierender Praktiken36 –, die regional-, lokal- und lebensgeschichtliche Fall-
studien nachzuzeichnen suchen. Erkenntnisleitend ist dabei das Konzept des ge-
sellschaftlichen Kräftefeldes (societal field-of-force), in dem unterschiedlich mächtige
Akteure mit-, neben- und gegeneinander auf den Vorder- und Hinterbühnen des
Alltags um Ressourcen vielfältigster Art ringen.37 Der praxeologische Blick auf die
NS-Gesellschaft, der durch die alltagshistorischen Pionierarbeiten Alf Lüdtkes38
und Detlev Peukerts39 entfaltet worden war, findet neuerdings in den Forschungen
zur „Volksgemeinschaft“
– als Gesellschaftsutopie wie als Anweisung zu deren Re-
alisierung – eine Fortführung.40 Darin bildet die ländliche Gesellschaft ein wich-
tiges Testfeld des „Volksgemeinschafts“-Konzepts.41 Davon abgesehen wurde der
Kräftefeld-Ansatz – wohl auch wegen des nach dem „Wendejahr“ 1989 einsetzen-
den Forschungsbooms zur Agrargeschichte der SBZ/DDR42 – bislang nur zöger-
lich umgesetzt. Der praxeologische Blick führt nicht zwangsläufig in die Sackgasse
der Entpolitisierung oder Entökonomisierung, wie dies Strukturhistoriker/-innen
der gelegentlich als „neohistoristisch“ verunglimpften Alltagsgeschichte vorgewor-
fen haben.43 Vielmehr sucht er das Politische und Ökonomische
– wie die Struktu-
ren der Gesellschaft insgesamt – aus einer Praxisperspektive zu erkunden.
Die allgemeine Forschungslandschaft zur nationalsozialistischen Agrargesell-
schaft zeigt für das Gebiet Österreichs besondere Akzente. Die institutionalisierte
Geschichtsforschung vermied lange
– länger als in anderen Bereichen der NS-For-
schung44
–, sich mit der österreichischen Agrargesellschaft im Nationalsozialismus
eingehend auseinanderzusetzen ; so erscheinen die Jahre von 1938 bis 1945 immer
noch als black box der österreichischen Agrarentwicklung. Neben apologetischen
Schriften ehemaliger Amtsträger des „Dritten Reiches“45 griffen in den Nach-
kriegsjahrzehnten nur wenige wissenschaftliche Publikationen dieses Thema auf.
Darin erschien die NS-Ära meist als staatspolitisch induzierte Unterbrechung des
landwirtschaftlichen Fortschritts oder gar als Rückentwicklung. So etwa betonte
Ferdinand Tremel in seinem wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Handbuch den
Zusammenhang zwischen landwirtschaftlicher Extensivierung und bäuerlicher
Widersetzlichkeit :
„Das nationalsozialistische Wirtschaftssystem kannte keine freie Marktwirtschaft,
sondern nur eine von oben gelenkte Planung, der alle Berufe unterworfen wurden,
und die ausschließlich wehrwirtschaftliche Ziele verfolgte. Auf auffälligsten kam dies
in der Landwirtschaft zum Ausdruck ; zwar wurde das Privateigentum an Grund und
Boden nicht angetastet, aber die Verwertung der produzierten Güter wurde bis in
alle Einzelheiten vorgeschrieben. Wohl fügten sich die Bauern anfangs diesen Vor-
schreibungen, aber bald setzten sie sich auf ihre Art zur Wehr, indem sie zum Anbau
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937