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der Feldvermessung
Die Vermessung agrargesellschaftlicher Felder entsprechend dieser mehrglied-
rigen Fragestellung erfordert Quellen, in denen die Spuren der Akteure in den
Kräftefeldern lesbar sind. Die Quellen eröffnen keinen unmittelbaren Blick auf
den Gegenstand ; dieser ist vermittelt durch die Entstehungs-, Überlieferungs- und
Raumkontexte, die den Zugang zum Gegenstand zugleich ermöglichen und be-
grenzen. Den Entstehungskontext des Quellenkorpus, der dieser Studie zugrunde
liegt, bildet überwiegend die Tätigkeit von Funktionsträgern in verschiedenen
Organisationen des „Dritten Reiches“ : von Landes- und Kreisbauernschaften,
Verwaltungsbehörden, Gerichten, Polizeidienststellen, amtlichen Presseorganen
und so fort. Nur ein kleiner Teil – Briefe, Interviews und Autobiographien – lässt
sich den Selbstzeugnissen zuordnen. Dazwischen finden sich Quellenarten, etwa
Verhörprotokolle von Angeklagten, die beiden Gruppen angehören. Die amtlich
erzeugten Quellen dokumentieren die Versuche des NS-Systems, ländliche All-
tagswelten durch Registrierung, Vermessung, Überwachung, Förderung und Be-
strafung zu kolonialisieren. Doch im amtlichen Blick zeigen sich auch Facetten
ländlichen Eigensinns, die es sorgfältig zu erschließen gilt. Wie bei amtlichen Ak-
tenbeständen prägt auch bei Selbstzeugnissen der Entstehungskontext, etwa die
Schreib- oder Interviewsituation, den Gehalt – und muss daher in die Interpreta-
tion einbezogen werden.127
Der Überlieferungskontext ist vor allem durch das Fehlen eines geschlossenen
Aktenbestandes der für diese Studie zentralen Organisation, der Landesbauern-
schaft Donauland und der untergeordneten Kreis- und Ortsbauernschaften, ge-
kennzeichnet. Dieses Defizit kann zu einem Gutteil durch Splitter- und Paral-
lelüberlieferungen sowie Quellen anderer Herkunft ausgeglichen werden. Dazu
zählen die Entschuldungsakten der Landstelle Wien sowie die Hofkarten einiger
Kreisbauernschaften der Landesbauernschaft Donauland, die eine personen- und
hofbezogene Datenbasis liefern. Die Entschuldungsakten bieten detaillierte In-
formationen über Schuldenstand, Besitzverhältnisse, Bodennutzung, Viehstand,
Maschinen- und Geräteausstattung, Gebäudezustand, Arbeitskräfte, Marktleis-
tungen und finanzielle Leistungsfähigkeit des jeweiligen Betriebes zum Zeitpunkt
der Durchführung des Verfahrens.128 Hofkarten umfassen betriebsbezogene Anga-
ben über Bodennutzung, Viehstand, Maschinen- und Geräteausstattung, Arbeits-
kräfte und Marktleistungen der Betriebe ab fünf bzw., in Weinbaugebieten, zwei
Hektar Fläche, die Jahr für Jahr aktualisiert wurden. Kleinere Betriebe wurden in
vereinfachter Weise in einer eigenen Liste erfasst.129 Für die gewählten Unter-
suchungsregionen wurden 1.323 Entschuldungsakten, 1.023 Hofkarten und 709
Kleinbetriebslisteneinträge – alles in allem Datensätze über 3.055 Betriebe – in
einer relationalen Datenbank erfasst (Tabelle 1.1).130
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937