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64 Anatomie eines „lebenden Organismus“
östlichen Flach- und Hügelland deutlich unter ein Zehntel bis nahe Null absackte.
Da unproduktive Flächen nirgends ins Gewicht fielen, legte mit sinkender Forst-
wirtschaftsfläche die Landwirtschaftsfläche im selben Maß zu. In weiterer Folge
unterschieden sich die Betriebstypen nach dem Ackeranteil an der landwirtschaft-
lichen Nutzfläche ; dieser schwankte von einem Zehntel in den Grünland-Wald-
wirtschaften der Voralpen über ein bis zwei Drittel in den Futter-, Acker-Wald-
und Getreidewirtschaften der westlichen Produktionsgebiete bis zu acht oder neun
Zehntel im östlichen Flach- und Hügelland – ausgenommen die Weinbauwirt-
schaften, die nur die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Acker nutzten.
Da die übrigen Kulturarten Garten- und Weinland – wiederum abgesehen von
den Weinbauwirtschaften – zusammen nirgends über ein Zehntel hinausreichten,
gingen die Zuwächse des Ackerlandes auf Kosten des Dauergrünlandes, also der
Wiesen und Hutweiden.
Weiters unterschieden sich die Betriebstypen danach, wie die Betriebsbesitzer
das Ackerland nutzten. In den Grünland-Waldwirtschaften der Kalkalpen ging
infolge der herbst- und frühjahrsnassen Lehmböden, der verkürzten Wachstums-
periode und der drohenden Verunkrautung der Wintergetreidebau von Gerste
und Hafer kaum über ein Drittel – das Maß der traditionellen Dreifelderwirt-
schaft – hinaus. Vom vergleichsweise starken Sommergetreideanteil nahm, neben
der Futtergerste als Klee-Überfrucht, den Großteil der Hafer ein. Der ehemalige
Bracheschlag wurde für den Futterbau – teils Klee- und Kleegrasbau, teils Natur-
egart, teils Kunst- und Wechselwiese – sowie für den Anbau von Kartoffeln und
Futterrüben genutzt. In den Acker-Waldwirtschaften des Wechselgebiets verschob
sich das Anbauverhältnis zuungunsten des ausfallgefährdeten Wintergetreides und
der schlecht gedeihenden Hackfrüchte sowie zugunsten des Feldfutterbaus, der
den gesamten ehemaligen Brachschlag einnahm. Was die Hackfrüchte als Vieh-
futter- und, in weiterer Folge, Stalldüngerlieferanten betraf, waren die Futter- und
Getreidewirtschaften des Waldviertels weitaus besser gestellt ; sie nahmen etwa ein
Fünftel des Ackerlandes ein. Der Getreidebau war – bei den Sommerungen stär-
ker als bei den Winterungen – zugunsten der Futter- und Brachefläche zurückge-
drängt. In den raueren Lagen der Futterwirtschaften waren die anspruchsloseren
Arten Roggen und Hafer, in den milderen Lagen der Getreidewirtschaften – vor
allem in den größeren Betrieben – die empfindlicheren Arten Weizen und Gerste
die Hauptfrüchte. Auch im Waldviertel haben wir es mit abgewandelten Dreifel-
derwirtschaften zu tun, die nicht zu einem vollständigen Wechsel von Halm- und
Blattfrucht gelangt waren. Der verbesserten Dreifelderwirtschaft entsprachen die
Futter- und Getreidewirtschaften des Alpenvorlandes mit hohem Futterrüben-
und mittelstarkem Kleeanbau. Die Fruchtwechselwirtschaft, die eine vier- oder
sechsfeldrige Abfolge von Klee, Weizen, Rüben und Gerste vorsah,81 war auch in
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937