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112 Anatomie eines „lebenden Organismus“
der Feldfutterbau ein. Außer einer Familienarbeitskraft – vermutlich der Frau des
Besitzers – kamen Taglöhner/-innen im jährlichen Ausmaß von 20 Tagen zum
Einsatz. Die Jahresarbeitszeit von 1,1 AKE wies einen überdurchschnittlichen Fa-
milien-, unterdurchschnittlicher Gesinde- und durchschnittlichen Taglöhneranteil
auf. Den ausgeprägten Futterbau legte die hohe Viehdichte – 3,3 GVE auf 2,6
Hektar – nahe : Mit dem betriebseigenen und, gegebenenfalls, zugekauften Fut-
ter wurden drei Kühe, ein Schwein und einige Hühner versorgt. Mit 0,4 AKE
pro Hektar zählte das Anwesen Leopold Dutters zu den arbeitsextensiven, mit
1,3 GVE pro Hektar zu den viehintensiven Betrieben ; Maschinen wurden keine
verzeichnet. Neben der Familienarbeitskraft musste der Betrieb eine vielköpfige
Schar an Haushaltsangehörigen versorgen : vier Kinder unter 14 Jahren und vier
Erwachsene ; der V/A-Quotient schnellte auf den Spitzenwert von 7,8 Personen
hinauf. Dieses extreme Übergewicht an nicht im Landwirtschaftsbetrieb mitar-
beitenden, aber daraus zu versorgenden Haushaltsangehörigen folgte vermutlich
aus deren Mitarbeit im Schmiedebetrieb. An diesem Beispiel erkennen wir, dass
für die Gewerbebauern die Landwirtschaft ein wesentliches, jedoch außerlandwirt-
schaftlichen Ansprüchen folgendes Standbein neben dem gewerblichen Standbein
darstellte.156
Das Pendant zu den Gewerbebauern hinsichtlich des außerlandwirtschaftlichen
Erwerbs stellten die Arbeiterbauernfamilien dar. Hier überwog die unselbstständige
Berufstätigkeit der Besitzer, wenngleich sich darunter auch Selbstständige – meist
Alleingewerbetreibende wie Schuhmacher, Schneider oder Wagner
– fanden ; häu-
fig waren es aber auch ältere Personen, die von Ausgedingeleistungen, einer Pen-
sion oder einer Rente lebten. Die überdurchschnittlich oft genannten Hauptberufe
der Arbeiterbauern decken ein breites Spektrum zwischen privaten und öffent-
lichen, klein- und großbetrieblichen, Waren und Dienstleistungen anbietenden
Wirtschaftszweigen ab : Angestellter, Eisenbahner, Fabriksarbeiter, Forstarbeiter,
Hilfsarbeiter, Landarbeiter, Maurer, Straßenwärter, Stricker, Weber, Zimmermann.
Das Merkmalsprofil zeigt, neben Gemeinsamkeiten wie hoher Vieh- und geringer
Maschinenintensität, mit überdurchschnittlichen V/A-Quotienten sowie ausge-
prägtem Brotgetreide- und Haferbau zahlreiche Unterschiede zu den Gewerbebau-
ern : Hackfruchtwirtschaft, Lage im Waldviertel, Zwergbesitz unter zwei Hektar,
Arbeit fast ausschließlich mit Familienangehörigen, hohe Arbeitsintensität, aus-
geprägter Kartoffel- und fehlender Handelsgewächsbau. Zu dieser Gruppe zählte
die Hackfruchtwirtschaft der Strickerin Leopoldine Eichler in Heidenreichstein.
Die Besitzerin bearbeitete ohne weitere Hilfskräfte etwa die Hälfte des zwei Hek-
tar umfassenden Besitzes als Acker, die andere Hälfte als Grünland. Ein knappes
Viertel des Ackers trug Getreide, gut die Hälfte Kartoffeln und mehr als ein Drit-
tel Feldfutter. Zwei Kühe und einige Hennen lieferten Leopoldine Eichler Milch
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937