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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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131Durchleuchtete Höfe Kriegsende erschienene Rechtfertigungsschrift aus der Feder August Lombars, des Leiters der Landstelle Wien, nahelegt,194 sah sich die Akademikerschaft der Land- stellen, die als reichsunmittelbare Sonderbehörden für die Entschuldungsaktion in den Reichsgauen der Ostmark eingerichtet worden waren, als Avantgarde der all- gemeinen Verwaltung, als eine Art ‚Staatsadel‘.195 Dieser elitär-bürokratische Iden- titätsentwurf stand wohl in Differenz zu Willkürmaßnahmen von Amtsträgern der nationalsozialistischen Partei und selbsternannten „Bevollmächtigten“ für diverse Belange in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“.196 Als Agenten des legalen Normenstaates, denen der dies- und jenseits der Grenze zur Illegalität operierende Maßnahmenstaat tendenziell suspekt erschien, verkörperten die Landstellenex- perten ein Organ des nationalsozialistischen „Doppelstaates“.197 Die Schlagkraft dieses hybriden Machtapparats erwuchs aus dem Zusammenwirken scheinbar wi- dersprüchlicher Strategien, der akribischen Orientierung an der Vorschrift wie der skrupellosen Rechtsbeugung im Zuge von Amtshandlungen. Die Akribie der Landstellenexperten lässt die Besichtigungsprotokolle, trotz al- ler Verwerfungen, als lohnende Spur zu (unter-)bäuerlichen Wirtschaftsstilen er- scheinen. Die Materialgrundlage dafür bieten die Betriebsbesichtigungsprotokolle aus den bereits bekannten Untersuchungsregionen, den AGB Litschau, Mank und Matzen, sowie, als zusätzlicher Untersuchungsregion, dem AGB Kirchberg an der Pielach im Landkreis St. Pölten, der dem bislang nicht abgedeckten Produktions- gebiet Voralpen angehörte.198 Das Gros der 648 Protokolle entstand 1938 bis 1941 ; nur neun wurden 1942 oder 1943 angelegt. Zunächst müssen die verbalen Beur- teilungen der Sachbearbeiter in zählbare Einzelmerkmale zerlegt werden. Danach werden aus den 63 erfassten Einzelmerkmalen 18 aussagekräftige Beurteilungen, die sich auf die Wirtschaftsstile der beurteilen Betriebsinhaber/-innen beziehen, ausgewählt. Die beurteilten Fälle und die daran haftenden Merkmale verteilen sich entsprechend ihrer (Un-)Ähnlichkeiten im zweidimensionalen Raum der amtlichen Moralökonomie, der rund 65 Prozent der Gesamtstreuung abdeckt. Die erste und wichtigste Dimension wird durch die Spannung von Nachlässigkeit und Unbe- holfenheit gegenüber Fleiß und Anspruchslosigkeit bestimmt.199 Diese Moraldi- mension scheidet den  – aus Unwillen oder Unvermögen  – ‚schlechten‘ vom ‚guten Betriebsführer‘. Die zweite Dimension, die sich zwischen den Polen Fortschritt- lichkeit und Rückständigkeit aufspannt, bildet eine Innovativitätsdimension, die ‚Vorreiter‘ einer als zeitgemäß geltenden Betriebsführung von ‚Nachzüglern‘ un- terscheidet. Beide Dimensionen zusammen knüpfen den offiziellen Beurteilungs- maßstab (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens, der nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern auch moralische Momente der Bewirtschafter/-innen ins Kalkül zog (Ab- bildung 2.29).
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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