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136 Anatomie eines „lebenden Organismus“
und zehn Hektar Kulturfläche. Das Haushaltsprofil zeigte Häufungen niedriger
Gesinde- und Taglöhneranteile. Da häufig niedrige V/A-Quotienten vorlagen,
dürfte die festgestellte „Ärmlichkeit“ der Familien kaum durch die Versorgung
nicht mitarbeitender Angehöriger verursacht worden sein. Im Intensitätsprofil tre-
ten viehextensive und maschinenintensive Betriebe hervor ; während sich Ersteres
erwartungsgemäß in das Gesamtprofil einfügt, überrascht Letzteres und dürfte
teilweise auf einem Datenfehler beruhen.216 Ein außerlandwirtschaftlicher Neben-
erwerb wurde seltener als in anderen Betrieben ausgeübt ; nur Fuhrwerksdienste
kamen häufiger vor. Üblicherweise standen die Betriebe im Gemeinschaftsbesitz
von Ehepaaren.
Die auf 800 Meter Seehöhe, hängig bis steil und in sieben Kilometer Entfernung
von der nächsten Bahnstation gelegene Grünlandwirtschaft von Johann Sommer in
Frankenfels, AGB Kirchberg an der Pielach, vereinte mehrere Kennzeichen des zä-
hen Bauern. Von den 27,3 Hektar Kulturfläche war knapp die Hälfte, 13,4 Hektar,
bewaldet ; der Rest verteilte sich auf 6,6 Hektar Acker, 6,6 Hektar Wiese, 0,5 Hek-
tar Hutweide und 0,2 Hektar Garten. Neben dem 32-jährigen Besitzer und seiner
nicht im Grundbuch eingetragenen 28-jährigen Ehefrau arbeiteten die 21-jährige
Stiefschwester und der 61-jährige Vater des Besitzers im Betrieb mit ; familien-
fremde Arbeitskräfte wurden nicht verzeichnet. Der Viehstand, zusammen 10,8
GVE, umfasste zwei Zugochsen, zehn Rinder, davon vier Kühe, eine Zuchtsau und
vier Mastschweine, zwei Schafe, eine Ziege und 15 Hühner. Die Viehintensität
lag mit 0,8 GVE pro Hektar unter dem Durchschnitt. An Maschinen wurden
ein Verbrennungsmotor, eine Dreschmaschine und eine Häckselmaschine im Neu-
wert von 1.260 Reichsmark registriert ; das entsprach einer überdurchschnittlichen
Maschinenintensität von 90 Reichsmark pro Hektar, die jedoch durch den ange-
nommenen Neuwert der Handdreschmaschine überhöht erscheint. Im Haushalt
lebten noch der 14-jährige Stiefbruder des Besitzers und ein neugeborener Sohn
des Bauernpaares ; daraus ergab sich ein unterdurchschnittlicher V/A-Quotient
von 1,25 Personen. Die Haupteinnahmen des Betriebes waren der Rinder- und
Milchverkauf ; dazu kamen Einkünfte aus der Vermarktung von Schweinen, Holz
und Eiern. Der Sachbearbeiter errechnete nach Abzug der Betriebsausgaben und
Lebenshaltungskosten einen jährlichen Saldo von 170 Reichsmark. Sein Urteil
über den Bauern war einwandfrei : „sehr fleißiger und strebsamer junger Bauer, der
den besten Ruf genießt“. Weiters betonte er die Mühe, mit der die Familie den
Bergbauernhof bewirtschaftete : „Der Betrieb arbeitet unter schwierigen Erzeu-
gungsbedingungen, doch ist er vom sparsamen Besitzer, der ihn erst vor kurzer Zeit
übernahm, gut und in Ordnung geführt.“217
Der fehlgeleitete Bauer figurierte im Urteil der Sachbearbeiter gewissermaßen als
negatives Gegenbild zur bäuerlichen Zähigkeit. Er trat in den Besichtigungsproto-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937