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142 Anatomie eines „lebenden Organismus“
die Betriebsbesichtigungen der Landstellen-Sachbearbeiter, die mit Hilfe der Orts-
und Kreisbauernführer Betrieb und Haushalt vor Ort penibel durchleuchteten. Das
Haushaltsprofil zeigt eine familienwirtschaftliche Prägung, vor allem hinsichtlich
der Familien- und Gesindeanteile ; demnach war die Besitzerfamilie häufig ‚unter
sich‘, was Abweichungen von der offiziellen Norm begünstigte. Im Intensitätsprofil
sticht der schwache Einsatz von Maschinen hervor
– ein Ausweis von „Rückständig-
keit“, die von den Sachbearbeitern bemängelt wurde. Abgesehen von Hilfsarbeiten
war der außerlandwirtschaftliche Nebenverdienst wenig verbreitet ; der fehlgeleitete
Bauer betrieb meist landwirtschaftlichen Vollerwerb. Häufiger als die Gesamtheit
standen die betreffenden Höfe im Alleinbesitz von Männern, was teils auf Verwit-
wung, teils auf dem „Nichtanschreiben“ der Ehefrau im Grundbuch beruhte.
Die Grünlandwirtschaft von Alois und Rosina Waldbauer in Texing, AGB
Mank, vereinte charakteristische System- und Stilmerkmale des fehlgeleiteten
Bauern. Den Hof in Steingrub, einem Weiler abseits der Ortssiedlung, umgaben
13,4 Hektar Grundbesitz, wovon 4,1 Hektar als Acker, 6,1 Hektar als Wiese, 0,3
Hektar als Hutweide und 3,0 Hektar als Wald genutzt wurden. Der Acker wurde
fast zur Gänze vom Getreide – Hafer, Roggen und Weizen – eingenommen ; da-
neben gediehen etwas Kartoffeln und Futterrüben. Das Ehepaar bewirtschaftete
den Hof gemeinsam mit drei Nachkommen, einem 19- und einem 15-jährigen
Sohn sowie einer 17-jährigen Tochter ; Gesinde oder Taglöhner/-innen wurden
nicht beschäftigt. Da alle fünf Familienangehörigen als vollwertige Arbeitskräfte
registriert wurden, lag die Arbeitsintensität, 0,5 AKE pro Hektar, im Durchschnitt.
In den Ställen wurden üblicherweise zwei Zugochsen, vier Kühe, zwei Kalbin-
nen, zwei Kälber, eine Zuchtsau, neun Mastschweine, vier Schafe und 25 Hüh-
ner gehalten. Der Viehstand von 11,6 GVE ergab, umgelegt auf die Nutzfläche,
eine durchschnittliche Viehintensität von 1,1 GVE. Außer einer Häckselmaschine
im Neuwert von 260 Reichsmark wurden keine größeren Maschinen verzeich-
net ; die Maschinenintensität, 25 Reichsmark pro Hektar, lag unter dem Durch-
schnitt. Da außer dem Besitzerpaar und den mitarbeitenden Kindern keine wei-
teren Familienangehörigen zu versorgen waren, fiel der V/A-Quotient mit 0,88
Personen vergleichsweise niedrig aus. Die Einnahmen speisten sich vor allem aus
dem Verkauf von Rindern, Schweinen und Milch, weiters von Eiern, Getreide
und Obst. Nach Abzug der Betriebsausgaben und Lebenshaltungskosten blieben
der Familie laut Kalkulation des Sachbearbeiters 250 Reichsmark zur Verfügung.
In der Beurteilung wurde die Persönlichkeit des Bauern zwiespältig gezeichnet :
„Es scheint, dass der Bauer wenig landwirtschaftliche Betriebskenntnisse besitzt.
Schulung eines Sohnes notwendig. Sonst die Familie arbeitsam und strebsam. Alle
gesund.“ Auf Grund der mangelhaften Führungskompetenz des Betriebsinhabers
erteilte der Sachbearbeiter, neben der obligaten Kassabuchführung, weitere Auf-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937