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147Durchleuchtete
Höfe
dem Boden verwachsen, guter Wirtschafter, der durch Fleiß trotz der großen Schul-
denverpflichtungen seinen Hof gehalten hat.“273 So gesehen, erscheint die von den
Sachbearbeitern wiederholt bemühte Verwurzelung der Antragsteller/-innen mit der
Scholle als – ideologisch verbrämte – Lesart einer (unter-)bäuerlichen Strategie der
Krisenbewältigung. Häufig schloss diese familienwirtschaftliche Überlebensstrategie
auch die Kombination landwirtschaftlichen und anderen Erwerbs mit ein. Folglich
argumentierten die Sachbearbeiter meist, wie im folgenden Fall, für die Notwendig-
keit des selbstständigen oder unselbstständigen Zusatzeinkommens : „Fleißiger und
arbeitsamer Kleinlandwirt, der, um ganz bestehen zu können, in seiner freien Zeit
das Schuhmachergewerbe ausübt.“274
In dieses von (unter-)bäuerlicher Selbstausbeutung geprägte Bild passt die über-
durchschnittlich häufige Angabe, dass der oder die betreffende Antragsteller/-in
„abgearbeitet“, „abgerackert“ oder „arbeitsunfähig“ sei. So hieß es über eine Witwe,
die in Mannersdorf als Kleinhäuslerin wirtschaftete, die Besitzerin sei „sehr fleißig
und sparsam, jedoch schon sehr abgearbeitet, 69 Jahre alt. Es ist daher eine Über-
gabe an den Erben unerlässlich, da Genannte den Anforderungen der Wirtschaft
nicht mehr entsprechen kann.“275 Ähnliches wurde über einen alten Bergbauern
in Loich vermeldet : „Der derzeitige Betriebsinhaber ist physisch nicht mehr in
der Lage, die Wirtschaft zu führen. Der Einsatz von frischen und im fortschritt-
lichen Geiste arbeitenden Menschen ist notwendig. Auflage : Übergabe (bereits
durchgeführt).“276 Noch dramatischer stellte sich die Lage für ein Kleinhäuslerpaar
in Dörfles dar : „Zwei alte, arbeitsunfähige Leute, die der Arbeit nicht mehr ge-
wachsen sind. Die drei Töchter sind an Nichtbauern verheiratet, von denen keiner
an der kleinen Wirtschaft interessiert ist.“277 Infolge der Arbeitsunfähigkeit des
Besitzerpaares und mangels Erben empfahl der Sachbearbeiter in diesem Fall den
Verkauf der Wirtschaft und die Abweisung des Verfahrens. Falls jedoch ein Erbe
oder eine Erbin in Aussicht waren, erteilten die Sachbearbeiter meist die Auflage,
den Betrieb so bald als möglich zu übergeben. Auf diese Weise griff das Entschul-
dungsverfahren tiefer, als das für die Antragsteller/-innen vorweg absehbar war, in
deren Landbesitzrechte ein : Der Staat entledigte die verschuldeten Hofbesitzer/-
innen nicht nur ihrer Gläubiger, sondern letztlich auch ihres Hofes.
Der Wirtschaftsstil der „Arbeitsamkeit“ zeichnete sich durch folgende Ag-
rarsystem-Merkmale aus : Lage im AGB Kirchberg an der Pielach, Zwerg- und
großbäuerliche Betriebe, Futter- und Weinbauwirtschaften, überdurchschnitt-
liche Vieh intensität. Für den Stil des „Fleißes“ lauten die herausragenden Sys-
temmerkmale : klein- bis mittelbäuerliche Betriebe, Grünland-Wald- und Acker-
Weinbauwirtschaften, überdurchschnittlicher V/A-Quotient, hohe Arbeits- und
Vieh intensität, familienwirtschaftlicher Zuschnitt. Zudem hoben sich beide Land-
wirtschaftsstile von den übrigen durch Häufungen des außerlandwirtschaftlichen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937