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168 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
seine 1942 abgeschlossene Dissertation ausführlich den Problemen der Einfüh-
rung des REG in der „Ostmark“. Demnach folgten der Reichsnährstand und die
Anerbenbehörden in den österreichischen Reichsgauen der Strategie, während ei-
ner mehrjährigen „Übergangszeit“ die erbhofrechtlichen Bestimmungen pragma-
tisch umzusetzen, ohne aber von den Rechtsgrundsätzen abzuweichen ; dies galt
unter anderem für das Anlegungsverfahren der Erbhöferolle :
„Es mußte jedoch in der Ostmark in erster Linie berücksichtigt werden, daß es sich
um eine Übergangszeit handelt und daß die Nachwirkungen der schlechten wirt-
schaftlichen Verhältnisse in der Systemzeit in so kurzer Zeit nicht überwunden
werden konnten. Es war daher unmöglich, die gleichen strengen Bedingungen wie
im Altreiche schon jetzt an die Höfe der Ostmark zu stellen, da sonst zahlreiche
Höfe nicht als Erbhöfe in Betracht gekommen wären, bei denen jedoch die Kreisbau-
ernschaft in Übereinstimmung mit den Anerbengerichten das Vorhandensein einer
Ackernahrung bejahten.“92
Trotz der großzügigen Auslegung der Maßstäbe für die Eintragung in die Erbhö-
ferolle betrug in Niederdonau 1944 der Anteil der 39.626 Erbhöfe an allen Betrie-
ben nicht mehr als 20 Prozent ; der Anteil der 777.087 Hektar Erbhofland an der
Gesamtfläche lag bei nur 34 Prozent – ein Zustand, der nach offizieller Meinung
„zwar noch als agrarpolitisch gesund zu bezeichnen ist, der aber doch einer syste-
matischen Entwicklung nach oben zum Nutzen und Frommen des ganzen Gaues
bedarf“.93 Ein Vergleich nach Kreisen zeigt enge Zusammenhänge zwischen der
Besitzgrößenverteilung sowie Größe und Anteil der Erbhöfe (Abbildung 3.3) :
Im Pannonischen Flach- und Hügelland mit den eingestreuten Weinbaugebie-
ten lagen die Durchschnittsfläche und Dichte der Erbhöfe großteils unter dem
Durchschnitt ; diese an der „volkstumspolitisch“ sensiblen Reichsgrenze gelegenen
Kreise galten den Machthabern als bodenpolitische Problemzone. In den Voralpen
bewegten sich die durchschnittliche Hofgröße meist über dem, der Erbhofanteil
an Betriebszahl und -fläche im Durchschnitt. Im Alpenvorland und im Waldvier-
tel ging die mittlere Flächenausstattung vielfach mit einer überdurchschnittlichen
Erbhofdichte einher ; hier lag die Realität dem bodenpolitischen Ideal der Natio-
nalsozialisten am nächsten.
Spatschil beließ es nicht nur bei der Bestandsaufnahme der Probleme, sondern
arbeitete vor seinem Erfahrungshintergrund und Erwartungshorizont als führen-
der, im „ständigen Gedankenaustausch mit den Leitern der Kreisbauernschaften
sowie anderen ehrenamtlichen Bauernführern“94 stehender Mitarbeiter der Lan-
desbauernschaft Donauland auch Lösungsvorschläge aus. Unverkennbar äußert
sich dabei die Kluft zwischen geltendem Recht und bäuerlicher Moral :
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937