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178 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Landinteressenten – ein Nutzungskonflikt, der, wie zwischen den Zeilen zu le-
sen ist, durch „Arisierungen“ und sonstigen Entzug von Grundbesitz gemildert,
aber nicht gelöst wurde. Andererseits waren die therapeutischen Instrumente
für die Kriegsdauer nicht mehr verfügbar : die „Umlegung“ von zersplitterten zu
geschlossenen Parzellen, deren Bedarf auf 880.000 Hektar oder 64 Prozent der
landwirtschaftlich genutzten Fläche beziffert wurde, und die „Neubildung deut-
schen Bauerntums“, deren Landreserve von etwa 10.000 Hektar sich in „Zwi-
schenbewirtschaftung“ durch die DAG befand. Angesichts des gegenwärtigen, aus
der ferneren und näheren Vergangenheit erwachsenen Dilemmas verlagerte sich
die bodenpolitische Aufmerksamkeit auf die Zukunft : „Ein Ausgleich zwischen
diesem Druck, der auf dem vorhandenen ‚freien‘ Boden lastet, und dem zur Zeit
siedlungspolitisch ‚brachliegenden‘ Landvorrat wird erst nach dem Kriege möglich
sein. Die heutige Handhabung der GVB bestätigt nur den Einschnitt, in dem wir
stehen.“127 In dieser Äußerung erhaschen wir eine Facette einer Logik, die über
die Person Haushofers hinaus wohl das Denken und Handeln anderer bodenpo-
litischer Entscheidungsträger anleitete : Die pragmatische, aus mehrjährigem Er-
fahrungshintergrund gespeiste Tagesarbeit in den Amtsräumen gewann ihren Sinn
zu einem Gutteil aus dem Erwartungshorizont, der „Endsieg“ würde den Weg zur
grundsätzlichen Lösung des Problems ebnen.128
Die zweite Problemzone, das Bergland im nordwestlichen Waldviertel und in den
südwestlichen Voralpen, sei durch das Nebeneinander von „beste[m] alpenländi-
sche[m] Bergbauerntum auf genügend großen Höfen“ sowie „seelisch und materiell
angeschlagene[m] Bauerntum“ in „vollem Rückgang“ in manchen Tälern gekenn-
zeichnet. Da „Umlegung“ und „Neubildung deutschen Bauerntums“ im Bergland
„nicht oder nur beschränkt zur Anwendung kommen konnten“
– die Parzellen waren
großteils arrondiert und jüdische Liegenschaften weitaus dünner gesät als im Flach-
und Hügelland –, seien hier andere Mittel notwendig : erstens die „Aufschließung“
der Bergbauernhöfe im Zuge des Zehnjahresprogramms für Güterweg-, Seilbahn-
und Lagerhausbauten, zweitens der umfassende „Gemeinschaftsaufbau“, ein „Wen-
depunkt in der Praxis der deutschen Agrarpolitik gegenüber dem Bergbauern [Hervorhe-
bung im Original]“, der an vier Orten in Niederdonau probeweise angelaufen war,
und drittens die Ausstattung der Bergbauernhöfe mit „einem dem Wirtschaftsbe-
darf entsprechenden Waldanteil“. Weitere Maßnahmen, die für beide Problemzonen
gültig erschienen, umfassten unter anderem die Bekämpfung der „Landflucht“, die
Förderung des Genossenschaftswesens und den Ausbau der Veredelungsindustrie.129
Alles in allem entwarf Haushofer in seinen Diagnosen über den Krankheitszustand
des „Landvolkes“ in Niederdonau stets auch Therapien zur „Gesundung“, die auf die
Kräftigung und Erweiterung des „Bauerntums“
– bei gleichzeitiger Schwächung und
Zurückdrängung „fremdvölkischer Elemente“ – abzielten.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937