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184 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Gegenüber den Plänen zur „Ausmerze“ der ländlichen Krankheitssymptome
durch Umsiedlung reichsdeutscher Landbewohner/-innen nach Osten vertraten
bodenpolitische Entscheidungsträger in Niederdonau wie Haushofer und Rein-
thaller eine Gegenposition : Sie setzten – trotz grundsätzlicher Unterstützung der
Umsiedlungspläne von West nach Ost – auf die „Gesundung“ des „Bauerntums“
im Reichsgebiet durch entsprechende Förderungsmaßnahmen. Dieser Konflikt
war kein fundamentaler, sondern ein gradueller : Das Fundament der Auseinan-
dersetzung war der gemeinsame Glaube an die „Rassenzugehörigkeit“ als Maß für
den Wert des „Landvolkes“ ; die Unterschiede bestanden im Grad der Wertschät-
zung der materiellen und ideellen Leistungen des „Bauerntums“ für den – bereits
besiedelten und neu zu besiedelnden – „Lebensraum“. Im Kern entspann sich der
Konflikt zwischen regionalen, auf den Reichsgau bezogenen und überregionalen,
auf ein „Germanisches Reich“ unter Einschluss Osteuropas ausgerichteten Ent-
würfen von Bodenpolitik, die in beiden Fällen inklusive und exklusive Züge trugen.
Die Pläne zur „ländlichen Neuordnung“ Niederdonaus und die darüber aus-
getragene Debatte bestanden zwar weitgehend nur auf dem Papier ; doch sie ver-
weisen einmal mehr auf den Doppelcharakter der nationalsozialistischen Boden-
politik, der auf anderen Gebieten nachhaltigere Wirkung entfaltete. Mittels der
Angaben über „Arisierung“ und Erbhofbildung lässt sich das Zusammenwirken
der exklusiven und inklusiven Aspekte der Bodenpolitik im regionalen Vergleich
genauer bestimmen. Zu diesem Zweck betrachten wir die Ausprägungen der sie-
ben Merkmale für 23 der 24 Kreise150 – den Anteil „arisierter“ Besitzungen an
der Zahl der Fälle und der Gesamtfläche, die Durchschnittsfläche der jüdischen
Liegenschaften und Erbhöfe, den Anteil der Betriebe zwischen fünf und 100 Hek-
tar an allen Betrieben sowie die an Betriebszahl und Fläche gemessenen Erbhof-
dichte – im wechselseitigen Zusammenhang. Diese Zusammenhänge bilden den
mehrdimensionalen Raum der Bodenpolitik, der die Kreise sowie die Ausprägungen
ihrer Merkmale verortet. Die beiden wichtigsten Dimensionen erklären 54 Pro-
zent der Gesamtstreuung ; die weiteren Dimensionen bleiben hier außer Betracht.
Die mit 34 Prozent Erklärungsrate wichtigste Dimension ist durch die Gegen-
sätze maximales bzw. minimales Erbhofpotenzial, höchste bzw. niedrigste Erbhof-
dichte, größtmögliche bzw. durchschnittliche Arisierungsquote sowie große bzw.
kleine Durchschnittsfläche jüdischer Liegenschaften gekennzeichnet ; sie scheidet
Musterkreise von Problemzonen der nationalsozialistischen Bodenpolitik. Die mit
20 Prozent Erklärungsrate zweitwichtigste Dimension ist durch die Gegensätze
unter- bzw. überdurchschnittliches Erbhofpotenzial, niedrige bzw. hohe Erbhof-
dichte, hohe bzw. niedrige Arisierungsquote sowie große Erbhöfe bzw. jüdische
Großgrundbesitzungen geprägt ; sie unterscheidet Kreise mit bodenpolitischem
Schwerpunkt auf „Arisierung“ oder Erbhofbildung (Abbildung 3.5).
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937