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192 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
den 130 Bewerbern konnte ich 30 Bauern und Landwirte feststellen, bei denen auf
Grund ihres Namens begründeter Verdacht besteht, tschechischer, slowakischer
und magyarischer Abstammung zu sein.“157 Dies widersprach dem Argument des
Anwalts, die „Aufsiedlung“ der jüdischen Güter durch „deutsche Bauern“ diene
dem „Schutz im Grenzland“.
Hinter den vordergründigen Taktiken folgten der Anwalt der Kaufwerber/-in-
nen wie die Vermögensverkehrsstelle unterschiedlichen Strategien im Hinblick auf
das gemeinsame Ziel der „Arisierung“ des jüdischen Gutsbesitzes. Da die Rechts-
grundlagen für die Tätigkeit der DAG in der Ostmark noch fehlten, herrschte hin-
sichtlich der „Arisierung“ von Gutsbetrieben gewissermaßen ein Rechtsvakuum.158
Die Hast der Kaufwerber/-innen war offenbar getrieben von der Befürchtung, die
DAG könnte ihnen den Besitz vor der Nase wegschnappen ; der federführende
Anwalt wollte sich „nicht der Gefahr aussetzen […], daß die deutsche Ansiedler-
gesellschaft [sic] den Gutsbesitz beschlagnahmt“.159 Die Vermögensverkehrsstelle
befürwortete hingegen die Einschaltung der DAG ; sie stellte klar, dass „diese Pri-
vatparzellierung ohne Berücksichtigung der notwendigen Siedlungsbedingungen
nicht in Frage kommt“.160 Die in das Verfahren eingeschaltete Landesbauernschaft
Donauland präsentierte sich in diesem Konflikt zwar grundsätzlich als Interes-
senvertreterin der bäuerlichen Kaufwerber/-innen, vertrat aber aus pragmatischen
Gründen den Standpunkt der Vermögensverkehrsstelle : „Die Beteiligten haben
zwar die besten Absichten gehabt, jedoch ist die Finanzierungsform für ein Sied-
lungsverfahren nicht möglich“ ; es sei „unverantwortlich […], wenn das ganze Ver-
fahren noch in irgend einer Form gefördert wird“. Die DAG solle prüfen, ob sie
in den Kaufvertrag einsteigen könne. Sollten die Bedingungen annehmbar sein,
würde sie nach Einführung des Reichssiedlungsgesetzes in der Ostmark aufgrund
ihres Vorkaufsrechts die beiden Güter erwerben ; andernfalls müsse der vorliegende
Kaufvertrag abgelehnt und neu verhandelt werden.161
Bald darauf konnte die Vermögensverkehrsstelle die Verantwortung für den ins
Stocken geratenen Fall abtreten. Aufgrund der Verordnung über den „Einsatz des
jüdischen Vermögens“ vom Dezember 1938 ging die Kompetenz für die land- und
forstwirtschaftliche „Arisierung“ auf die Obere Siedlungsbehörde im Ministerium
für Landwirtschaft über. Im Zuge eines Lokalaugenscheins in Drösing im Jän-
ner 1939 handelten Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, des Reichsnähr-
standes, der DAG und der Kaufwerber/-innen eine Lösung des Problems aus. Im
Sinn einer „möglichst schnelle[n] und reibungslose[n] Abwicklung“ des Verfah-
rens wurde „festgestellt, daß der mit dem Ankaufe verfolgte Zweck nur erreicht
werden kann, wenn nach Einführung des Reichssiedlungsgesetzes in der Ostmark
die hiefür maßgeblichen Bestimmungen auch im Falle Drösing zur Anwendung
gelangen“. Daher sei der Kaufvertrag abzulehnen, der bereits eingezahlte Teil des
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937