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197Verbäuerlichung
durch „Entjudung
in. Während dieser Zeit bemühten sie sich nicht nur um die Verbesserung der
Bodenqualität – etwa durch reichliche Düngung –, sondern erhöhten auch ihren
Viehstand entsprechend der erweiterten Nutzfläche. Dem Vorwurf der Überschul-
dung begegneten sie mit dem Hinweis, dass die auf dem Hof lastende Hypothek
einzig und allein der Finanzierung des Grundankaufs gedient hatte. In ideolo-
gischer Hinsicht bestätigte Franz Rössler zwar seine frühere Zugehörigkeit zum
katholischen Burschenbund, wies aber jede parteipolitische Betätigung von sich.
Zudem wurde auf widersprüchliche Aussagen der Behörden
– der Grundverkehrs-
kommission, die die Verkäufe im Juli 1938 genehmigte, der Vermögensverkehrs-
stelle, die im Oktober 1938 eine Genehmigung für nicht notwendig hielt, und der
Oberen Siedlungsbehörde, die die Kaufverträge im Oktober 1939 ablehnte – auf-
merksam gemacht und argumentiert, dass nach der „Arisierung“ des Gutes durch
den Übergabevertrag die Genehmigung der Oberen Siedlungsbehörde nicht mehr
erforderlich sei. Schließlich mutmaßten der und die Beschwerdeführer/-in über die
Motive der Ablehnung : „Wir sind daher der Überzeugung, dass für die Abweisung
kein öffentliches Interesse, sondern im Gegenteil bloß ein kleinliches Ortsinteresse
maßgebend war, das uns die Vergrößerung unseres Erbhofes nicht gegönnt hat.“190
Kurz, die Beschwerde zog den ablehnenden Bescheid als Ausfluss einer örtlichen
Intrige in Zweifel und behauptete die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und poli-
tische Zuverlässigkeit des Bauern und der Bäuerin.
Die Obere Siedlungsbehörde suchte die Beschwerde durch den Hinweis auf
den Besitz eines 29 Hektar großen Erbhofs und „politische Bedenken“ gegen den
und die Besitzer/-in zu entkräften ; überdies ermögliche die Ablehnung der Kauf-
verträge ein Anlieger- oder Neusiedlungsverfahren durch die DAG.191 Der um
Stellungnahme gebetene Kreisbauernführer hielt – trotz der Korrektur der poli-
tischen Beurteilung durch die NSDAP-Kreisleitung – an seinen wirtschaftlichen
Bedenken fest : „Es ist mir unerwünscht, wenn der in Wagram/D. befindliche ehe-
malige jüdische Besitz durch Bauern und Landwirte der umliegenden Ortschaften
erworben wird, da diese Grundstücke zusammen mit einigen heute noch vorhan-
denen ehemals jüdischen Häusern für die Einsetzung von Neubauern bzw. Um-
siedlern sehr geeignet sind.“192 Schützenhilfe erhielt er dabei vom Bürgermeister
und Ortsbauernführer von Wagram an der Donau, der die strittigen Äcker für die
„Ansiedlung deutscher, rassisch wertvoller Bauern“ reservieren wollte ; dabei be-
diente er sich rassen- und siedlungspolitischer Argumente : „Daß eine Ansiedlung
wertvoller Deutscher in der Gemeinde (Wagram/D. liegt im Grenzkreis und hieß
früher Kroatisch-Wagram !) unbedingt notwendig ist, wird jeder bestätigen, der
die Bevölkerungsschichtung dieser Gemeinde kennt.“ Nun wurde das, was bislang
nur zwischen den Zeilen zu lesen war, offen ausgesprochen : Die Kaufabsichten
des Ehepaares Rössler kollidierten mit der Bodenpolitik lokaler und regionaler
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937