Seite - 198 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 198 -
Text der Seite - 198 -
198 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Amtsträger des Reichsnährstandes, die in der „Vergrößerung eines ohnehin lebens-
fähigen Bauernhofes“ eine Gefahr für die „Zukunft einer Landgemeinde im Sinne
des nationalsozialistischen Staatsgedankens“ sahen.193 Inwieweit sich Orts- und
Kreisbauernführer der Rassenideologie aus pragmatischen Erwägungen bedienten
oder dieser grundsätzlich anhingen, lässt sich kaum klären ; Klarheit besteht hin-
gegen über ihr siedlungspolitisches Leitmotiv : Die „arisierten“ Gründe sollten an
ortsansässige und vor Ort anzusiedelnde – und nicht an auswärtige und wohlbe-
stallte – Hofbesitzer/-innen gelangen.
Im fernen Berlin hielt sich das Verständnis für die lokalen und regionalen Son-
derinteressen im Landkreis Gän sern dorf in Grenzen ; dort herrschte die als „All-
gemeininteresse“ ausgegebene Amtslogik, wie bereits in der ersten Stellungnahme
des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Beschwerdever-
fahren deutlich wurde : Weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht be-
hindere ein „öffentliches Interesse“ im Sinn der GVB die Genehmigung der Kauf-
verträge. Der Besitz von 29 Hektar Grund schließe den Erwerb weiterer Parzellen
nicht aus ; die „politischen Bedenken“ seien zu vage formuliert.194 Die endgültige
Wendung des Verfahrens brachte eine vom Reichsministerium eingeforderte Be-
sprechung von Vertretern der Oberen Siedlungsbehörde mit den Bürgermeistern
und Ortsbauernführern der Gemeinden Orth an der Donau, dem Wohnsitz von
Franz und Maria Rössler, und Wagram an der Donau, der für die beiden Parzellen
zuständigen Gemeinde, im Juli 1941. Dabei wurden die Argumente der Eheleute
im Großen und Ganzen bestätigt :
„Aus der nachstehenden Hof- bzw. Wirtschaftsbeschreibung lässt sich leicht er-
kennen, dass es sich hier um eine nach neuzeitlichen Grundsätzen geführte, aus-
gezeichnete Wirtschaft handelt, die zu erhalten aus volkswirtschaftlichen Gründen
notwendig erscheint. […] Die vorgenommenen Erhebungen führten zum Schlusse,
dass eine Nichtgenehmigung der 2 Kaufverträge eine schwere finanzielle Schädigung
des Rössler und die Zerstörung einer vorbildlich geführten, großen Bauernwirtschaft
bedeuten würde. Demgegenüber tritt meiner Meinung nach der Wunsch der Ge-
meinde Wagram/D. nach Überlassung der Grundstücke für im Orte Wagram sie-
delnde Landwirte in den Hintergrund, da nicht einmal noch bestimmte Bewerber
vorhanden sind.“195
Die Obere Siedlungsbehörde, die noch 1939 als Unterabteilung des Ministeriums
für Landwirtschaft gegen die Beschwerde von Franz und Maria Rössler eingetreten
war, trat nun 1941 als Unterabteilung des Reichsstatthalters in Niederdonau als de-
ren Fürsprecherin auf : Die Gründe für die seinerzeitige Ablehnung – die geplante
„Neubildung deutschen Bauerntums“ und die „politische[n] Bedenken“
– seien weg-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937