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206 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Der Vergleich mit dem Landkreis Stade hat äußere Maßstäbe an die Umsetzung
des REG im AGB Eggenburg angelegt ; im nächsten Schritt soll die regionale
Anerbengerichtsbarkeit von innen her erschlossen werden. Zu diesem Zweck
betrachten wir die wechselseitigen Zusammenhänge von zunächst drei Verfah-
rensmerkmalen : Antragsjahr, Sachverhalt und Urteilsspruch ; dazu kommen drei
Agrarsystem-Merkmale : Grundbesitzgröße des Hofes sowie Weinbauanteil und
Flurform der zugehörigen Gemeinde. Diese sechs Merkmale verteilten sich in ei-
nem mehrdimensionalen Raum der Anerbengerichtsbarkeit. Die beiden wichtigsten
Dimensionen erklären 53 Prozent der gesamten Streuung ; die übrigen Dimensio-
nen bleiben außer Betracht (Abbildung 3.8). Die erste Dimension mit 39 Prozent
Erklärungsanteil ist von den Spannungsmomenten vorhandener bzw. fehlender
Weinbau, Gewann- bzw. Gewann- und Blockflur sowie viele bzw. wenige Ver-
kaufs- und Tauschgeschäfte bestimmt. Sie lässt sich interpretieren als Verfahrens-
kontext, in dem unterschiedliche Agrarsysteme zur Geltung kommen. Auf der
zweiten Dimension mit 14,1 Prozent Erklärungsanteil stehen „Bauernfähigkeits-“
und Erbhöferollen- bzw. Gütergemeinschaftsangelegenheiten, Ablehnung bzw.
Genehmigung, klein- und mittel- bzw. großbäuerliche Höfe sowie frühe bzw. späte
Antragstellung einander gegenüber. Antragsjahr, Sachverhalt und Urteilsspruch
beziehen sich auf die Verfahrensart.
Im Raum der Anerbengerichtsbarkeit finden die Ergebnisse des Vergleichs mit
dem Landkreis Stade eine Bestätigung : Erhöhte Bodenmobilität, vor allem der
Verkauf von Parzellen, hing einerseits mit der Antragstellung 1938 bis 1940 – der
vom amtlichen Entgegenkommen bestimmten „Übergangsphase“ der Erbhofge-
richtsbarkeit –, andererseits mit dem Weinbau zusammen. Zudem fanden Über-
prüfungen der „Bauernfähigkeit“ der Erbhofeigentümer/-innen in Weinbauge-
meinden häufiger als in den übrigen Gemeinden des AGB statt. Die bisherigen
Ergebnisse werden nicht nur bestätigt, sondern in zweifacher Hinsicht erweitert :
Erstens hing die Flurform, die in den Gemeinden im AGB Eggenburg zwischen
der reinen Streifenflur und der gemischten Streifen- und Blockflur pendelte,208
eng mit dem Gewicht des Weinbaus und der Häufigkeit von Bodenmobilitäts-
verfahren zusammen. Zweitens verlagerte sich im Lauf der Jahre die Gewichtung
der übrigen Sachverhalte im Zusammenhang mit den Betriebsgrößen : Während
in den ersten Jahren nach 1938 die Ein- und Austragungen kleinerer Mittelbe-
triebe in der Erbhöferolle überwogen, traten 1943/44 Ein- und Austragungen
von Gütergemeinschaften in großbäuerlichen Erbhöfen hervor. Dafür dürften je-
weils erbhofgesetzliche Neuerungen den Ausschlag gegeben haben : 1938 begann
das Anlegungsverfahren für die Erbhöferolle ; dabei bestand vor allem bei Höfen
an der Grenze zur „Ackernahrung“ erhöhter Klärungsbedarf. 1943 eröffnete die
Erbhoffortbildungsverordnung die Begründung von „Ehegattenerbhöfen“ ; damit
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937