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213Schollenbindung
oder Parzellenhandel ?
vom ersten Ehemann eingebracht worden, verblieb also in derselben „Sippe“ ; die
Parzelle fiel wiederum an einen Erbhof ; der Hoferbe zeigte sich mit dem Vertrag
einverstanden.240 Sogar Grundabtrennungen von einem, zwei oder mehr Hektar
wurden genehmigt, sofern der Verlust erträglich schien oder die Parzelle einem
anderen Erbhof zufiel.241 Falls jedoch das abzutrennende Grundstück die „Acker-
nahrung“ gefährdete oder den Status als Erbhofland verlor, lehnte das Gericht den
Antrag meist ab oder genehmigte ihn nur mit Auflagen.242
Im Allgemeinen legte das AEG Eggenburg Anträgen auf Grundabtrennungen
im Zuge von Hofübergaben kaum Hindernisse in den Weg ; in besonderen Fällen
beharrte es jedoch unbeirrbar auf dem Buchstaben des Gesetzes. 1939 beantragten
Franz und Juliana Maurer den Verkauf von vier Hektar Wald von ihrem 23 Hektar
großen Erbhof in Rafing an ihre körperbehinderten Kinder Franz und Anna. Die
Parzelle sei 1937 mit dem Geld der Kinder angekauft worden ; daher solle das
Grundstück die beiden für den ihren Eltern gewährten Kredit entschädigen. Ob-
wohl der Kreisbauernführer Zustimmung signalisierte,243 versagte das AEG dem
Antrag die Zustimmung. Der angebliche „Kaufvertrag“, so die Richter, sei tatsäch-
lich ein Schenkungsvertrag zwischen Eltern und Kindern, weil das Waldstück mit
den Erträgen des Hofes angekauft worden sei. Mehr noch, dahinter verberge sich
eine Art „Sabotage“ am REG :
„Die Bauern kauften aus den Ersparnissen Grundstücke an, um sich anlässlich der
Übergabe des Hofes einen Teil der Grundstücke ‚zurückbehalten‘ zu können. Dieser
Brauch ist dem Anerbengericht bekannt ; er herrschte vor Inkrafttreten des Reichs-
erbhofgesetzes in der ganzen Gegend. Aus den auf dem Hofe gemachten Ersparnis-
sen wurden Grundstücke angekauft. Bei Übergabe wurde ein Teil der Grundstücke –
es waren nicht immer die zugekauften – von den Übergebern in ihrem Eigentum
zurückgehalten und teils deren Erträgnisse als Zuschuß zu den Ausgedingsleistungen,
teils die Grundstücke selbst entweder aus Anlaß des Ablebens der Übergeber oder
auch schon früher einzeln an die Geschwister des Anerben an Stelle einer Ausstat-
tung übertragen.“244
Damit eröffnete das Gericht einen Einblick in die alltäglichen Strategien – den
„Brauch“ – bäuerlicher Hofeigentümer/-innen im Feld des Grundbesitzes vor
1938, die von manchen wohl auch danach noch verfolgt wurden. Das Aufkau-
fen, Zurückbehalten und spätere Verteilen von Parzellen an die Nachkommen of-
fenbarte die regionale Gemengelage von Anerben- und Realteilungspraxis : Der
Erbe oder die Erbin erhielt den Großteil des Grundbesitzes überschrieben ; die
Geschwister gingen jedoch nicht leer aus, sondern wurden – falls sie nicht finan-
ziell abgefunden wurden – mit kleineren Parzellen ausgestattet. Diese bäuerliche
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937