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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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229Wer ist (k)ein „Bauer“ ? ernfähigkeit“ noch nicht aberkannt hatte. Durch die überraschende Heirat gelang es dem „Bauern“ im Berufungsverfahren, den Landesbauernführer zum Rückzug des Antrags auf „Abmeierung“ und zur Einstellung des Verfahrens zu bewegen. Im vierten Fall suchte der wegen „Unzucht“ verurteilte „Bauer“ den Vorwurf der „Ehr- losigkeit“ durch eine milieugebundene „Geschlechtsmoral“, die der vorgeblichen Triebhaftigkeit männlicher Sexualität folgte, zu entkräften. Darin äußern sich das juristische Kalkül des Anwalts, durch Bezugnahme auf die bäuerliche „Standes- ehre“ das Ersturteil auszuhebeln, sowie die milieunahe Ansicht des Erbhofeigentü- mers, die Entfesselung des männlichen Sexualtriebes sei eine naturhafte Reaktion auf den Reiz weiblicher Verführung. Das AEG hatte die beantragte Dauer der „Abmeierung“, nicht zuletzt aufgrund der guten Ablieferungsleistungen des Erb- hofs, verringert. Gegenüber dieser pragmatischen, an den kriegswirtschaftlichen Erfordernissen orientierten Linie argumentierten die höheren Gerichtsinstanzen in diesem Fall merklich dogmatischer. Sie stellten die Verbindung von Stadt und Land durch das „Landjahr“  – und den damit verbundenen Appell zur Selbstdis- ziplinierung  – über die Trennung von ‚wilder‘ ländlicher und ‚zivilisierter‘ städti- scher Auffassung von Sexualität. In allen Fällen wurde das symbolische Kapital der „Bauernfähigkeit“ an formellen und informellen Zuschreibungen von Geschlech- terpositionen bemessen. Folglich erscheint Geschlecht als eine  – wenn nicht die  – zentrale Dimension von Auseinandersetzungen um das Erbhofeigentum.311 Viertens lassen alle Fälle die Hinterbühne als Katalysator für das Geschehen auf der Vorderbühne erscheinen. Dazu zählte vor allem der Mangel an Arbeitskräften, der die vor Gericht verhandelten Tatbestände tangierte  – zumindest als Rechtferti- gungsargument gegenüber Angriffen, meist aber als offensichtlicher Notstand. Im ersten Fall wurden die zehn Hektar Land vom Hofeigentümer und dessen Vater bewirtschaftet. Seit 1939 beschäftigte man keine Dienstboten mehr ; zudem waren, den Aussagen vor Gericht zufolge, Taglöhner/-innen kaum verfügbar. Im zweiten Fall war der 90-jährige Schwiegervater die einzige Hilfe der Eigentümerin des 15 Hektar großen Erbhofes. Zusätzliche Arbeitskräfte wurden nicht beschäftigt, teils wegen der Angst der Hofeigentümerin vor „fremdvölkischen“ Arbeitskräften, teils wegen mangelnder Unterstützung vonseiten der Nachbarhöfe. Im dritten Fall war der Arbeitskräftebesatz des 23 Hektar umfassenden Erbhofes von neun auf drei ständig Beschäftigte geschrumpft. Vor allem die Abwesenheit des Ehemannes ver- schärfte den Mangel an im Umgang mit dem Pferdefuhrwerk geübtem Personal. Im vierten Fall verfügen wir über keine Informationen über die Zahl der Arbeits- kräfte auf den beiden Erbhöfen im Umfang von 54 Hektar ; doch die Zuweisung eines Pflichtjahrmädchens weist auf einen Mangel an Arbeitskräften hin. Der von der Vierjahresplanbehörde 1938 verordnete Pflichtjahrdienst verlangte Frauen bis zum Alter von 25 Jahren eine einjährige Berufstätigkeit in der Land- oder
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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