Seite - 240 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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240 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Gut in Untersiebenbrunn
– und Abnahmen
– bis zu 139 Hektar auf dem der Stadt
Wien gehörenden Gut in Markthof – zu verzeichnen.
Die Zu- und Abnahmen der bewirtschafteten Kulturfläche 1941 bis 1944
beruhten teils auf der Herausnahme von Flächen aus der Bewirtschaftung, so-
dass sie als Ödland registriert wurden ;325 zum anderen Teil lagen ihnen verschie-
dene Arten des Transfers von Landbesitzrechten zugrunde : Kauf und Verkauf,
Zu- und Verpachtung, Landnutzungstausch, Übergabe, Schenkung und so fort.
Die Hofkarten und Kleinbetriebslisten enthalten zwar keine Angaben über Ei-
gentümer- oder Nutzerwechsel, ermöglichen jedoch immerhin die Bemessung
der zugepachteten Flächen.326 Zupacht ist für die Gutsbetriebe nur in wenigen
Einzelfällen nachweisbar ; insgesamt fiel sie kaum ins Gewicht. Daher beschrän-
ken wir uns in weiterer Folge auf das (unter-)bäuerliche Segment der Betriebe.
Hinsichtlich der Anteile der Zupacht und sonstiger Landtransfers an der ge-
samten Kulturflächenveränderung (Tabelle 3.21) zeigen sich nach Agrarsystemen
unterschiedliche Zusammenhänge : Für Maschinenmänner, Nebenerwerbsbauern-
familien und Mischwirtschafter hatte die Zupacht keine bis wenig Bedeutung.
Arbeiterbauernfamilien und Gewerbebauern verzeichneten 1943 und 1944 durch
Zupachtung deutliche Flächenzugänge, denen aber teils erhebliche Abgänge ge-
genüberstanden. Klein- und Weinhauerfamilien pachteten 1942 weitaus weniger
Flächen als zuvor ; ähnlich verhielt es sich bei den Mischwirtschaftern 1944. Nur
in zwei Agrarsystemen lag die Zupacht im gesamten Zeitraum über dem Durch-
schnitt : Sowohl Ackerbäuerinnen als auch Zuckerrübenbauern verringerten 1942
und 1943 ihre Pachtflächen in erheblichem Maß ; dagegen pachteten sie 1944
wiederum mehr Parzellen. Räumlich gesehen beeinflussten Zu- und Abnahmen
der gepachteten Grundstücke die Kulturflächenänderungen vor allem in den Re-
gion Matzen, wo sich Ackerbäuerinnen und Zuckerrübenbauern konzentrierten.
Zeitlich gesehen hatte die Zupacht 1942 und 1943 erhebliches Gewicht ; 1944
traten hingegen andere Transfers hervor. Käufe und Verkäufe von Parzellen, nach
der GVB oder dem REG ohnehin genehmigungspflichtig, waren seit dem „Füh-
rererlass“ zur Einschränkung des Eigentümerwechsels 1942 mit zusätzlichen
Hürden verbunden. Dies berechtigt zur Annahme, dass zwar noch bis 1943 die
Bodenmobilität aufgrund von Pachtverträgen eine größere Rolle spielte ; doch ab
1944 dürfte ein beträchtlicher, wenn nicht der überwiegende Teil der Zu- und
Abgänge der bewirtschafteten Kulturflächen auf der Grundlage des
– freiwilligen
oder erzwungenen – Landnutzungstausches erfolgt sein. In den Untersuchungs-
regionen scheint die beabsichtigte Flexibilisierung des starren Eigentums- und
Pachtrechts durch den 1943 eingeführten Landnutzungstausch bis zu einem ge-
wissen Grad gegriffen zu haben.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937