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248 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
dengüter“ enormen Ausmaßes „arisiert“ und teils direkt, über Kaufverträge mit den
jüdischen Vorbesitzern, teils indirekt, über Pachtverträge mit der DAG, an bäuer-
liche Betriebsinhaber/-innen umverteilt wurden.329 Die „Entjudung“ verlieh dem
regionalen Bodenmarkt erhebliche Dynamik, wie etwa der Ortsbauernführer von
Matzen im Juni 1939 berichtete : „Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für eine allge-
meine Flurbereinigung sehr geeignet, da die Landwirte jetzt Landzulagen aus den
aufgelösten Judengütern erhalten.“330 Diese Aussage findet in den überaus häufi-
gen, die Ungleichheit verstärkenden Landtransfers in der Region Matzen 1941 bis
1944 eine Entsprechung. Daher kann die Umverteilung jüdischer Liegenschaften
im Kreis Gän sern dorf als
– freilich nicht einzig wirksame
– Triebkraft des regiona-
len Landtransfers angenommen werden.
Ein weiteres Moment stellten die in der grundbesitzenden Bevölkerung gülti-
gen, von Generationen zu Generation vermittelten Gewohnheiten des Umgangs
mit Landressourcen dar. Sichtbarer Ausdruck davon waren die vielfältigen An-
ordnungen der Grundparzellen in der Landschaft, die nach Flurformen klassi-
fiziert wurden. Dass der NS-Agrarapparat dieser Klassifizierung der Agrarland-
schaft große Bedeutung zumaß, zeigt der staatliche Auftrag zur Erstellung einer
detaillierten Karte der Flur-, Siedlungs- und Hausformen in den Reichsgauen
der Ostmark an Adalbert Klaar, einen Mitarbeiter der Planungsbehörde beim
Reichsstatthalter in Wien.331 Unterstaatssekretär und Landesbauernführer Anton
Reinthaller sah in der Karte ein Abbild von „fast ein[em] Jahrtausend organischer
Entwicklung“ des „bäuerlichen Lebensraumes“, die durch Liberalismus und In-
dustrialisierung nur „unwesentlich verändert“ worden sei.332 Hugo Hassinger, Lei-
ter der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung in Wien, pries sie als „eine der
Abbildung 3.10 : Kulturflächenverteilung in den Regionen Litschau, Mank und
Matzen 1941–1944
Quelle : eigene Berechnungen (Lorenzkurve, Datenbasis : 1.551 Betriebe) nach NÖLA, BBK Gän sern-
dorf, Litschau und Mank, Hofkarten.
100 100 100
Anteil der Betriebe (Prozent) Anteil der Betriebe (Prozent) Anteil der Betriebe (Prozent)
Litschau 1941 Mank 1941 Matzen 1941
Litschau 1944 Mank 1944 Matzen 1944
Gleichverteilung Gleichverteilung Gleichverteilung
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937