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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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290 „Menschenökonomie“ unter Zwang Bericht des Landrats Zwettl vom Jänner 1943 zufolge gab der Fall, „daß Ostarbei- ter unter gleichzeitigem Verlassen ihrer Arbeitsstätte sich wegen eines Urlaubes in die Heimat zum Arbeitsamte in Zwettl begeben haben“, Anlass zu „energischem Einschreiten“.128 Neben der Rückkehr in das Herkunftsland galt auch das Vermei- den unzureichender Arbeits- und Lebensbedingungen als „Arbeitsflucht“. Offen- bar erkannten mache der Arbeitsämter unzureichende Arbeits- und Lebensbedin- gungen als Grund für Umvermittlungen an, ohne die Gestapo einzuschalten.129 Als „schlechte Behandlung“ galten unzureichende Ernährung, mangelhafte Ver- sorgung mit Kleidung und unzumutbare Unterkünfte. Dagegen boten überzogene Arbeitsanforderungen oder übertriebene Bestrafungen kaum Anlässe zur Kritik ; im Gegenteil : Zumeist klagten die amtlichen Berichterstatter über die ihrer Auf- fassung nach zu nachsichtige Behandlung der „fremdvölkischen Arbeitskräfte“.130 Hinter dem Delikt der „Arbeitsflucht“ verbarg sich häufig der beabsichtigte Wechsel in andere Wirtschaftszweige. Neben mangelhafter Versorgung und Re- pressalien durch Vorgesetzte bot die körperliche Überforderung durch die schwe- ren Landarbeiten oftmals Anlass, um sich auf eigene Faust auf die Suche nach einem Arbeitsplatz in Industrie und Gewerbe zu begeben. So gab eine flüchtige Polin aus dem Kreis Amstetten nach ihrer Festnahme an : „Ich wäre lieber in eine Fabrik gegangen, weil mir die Arbeiten in der Landwirtschaft zu schwer sind.“131 Ein solcher Schritt setzte jedoch ein Netz aus persönlichen Bekanntschaften vo- raus, die das Zurechtfinden in der ungewohnten Umgebung erleichterten. In den letzten Kriegsjahren kehrte sich jedoch die Tendenz zur Flucht in die Städte um ; Ausländer/-innen zogen scharenweise auf das Land, wo sie eine bessere Versor- gung vermuteten und sich vor Bombenangriffen sicherer fühlten.132 Fanden aus- ländische Arbeitskräfte auf den Bauern- und Gutshöfen erträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen vor, dann unternahmen sie mitunter auch Versuche zur Um- gehung drohender Abziehungen. So schloss etwa der französische Zivilarbeiter Louis Vives während der arbeitsarmen Wintermonate 1944/45 mit seiner bäuerli- chen Dienstgeberin einen Pakt, um die Überstellung in einen bombengefährdeten Industriebetrieb abzuwenden ; er erkaufte sich diese Sicherheit mit dem Verzicht auf den ihm zustehenden Lohn.133 Von solchen Bündnissen, die den Zugriff der Arbeitseinsatzbehörden erschwerten, profitierten nicht nur die Arbeitenden selbst, sondern auch deren Arbeitgeber/-innen. Erfolg oder Misserfolg der „Einsatzlenkung“ lassen sich kaum am absoluten Angebot an verfügbaren Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitskräften, sondern nur in Relation zur jeweiligen Nachfrage bemessen. Betrachten wir zu diesem Zweck die regionale Verteilung der Landarbeitskräfte in Niederdonau im Mai 1939, ge- gen Ende der „Landwirtschaftsflucht“-Phase und kurz vor Kriegsbeginn. Der Ar- beitskräftebedarf hing zunächst von der Arbeitsintensität, der pro Flächeneinheit
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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