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Arbeit als alltägliches Kräftefeld
züglich der Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeiter/-innen. Doch das
Maß, in dem die Arbeitskraft der Ausländer/-innen praktischen Nutzen erzielte,
wurde letztlich nicht durch Verordnungen aus den Verwaltungszentralen, sondern
vor Ort entschieden. Damit Arbeitende produzieren können, müssen sie sich somit
in ausreichender Weise reproduzieren können ; die nachhaltige Verausgabung von
Arbeitskraft ist daher an die Wiederherstellung der Ressourcen der Arbeitenden
gebunden. Die in der Literatur häufig getroffene Feststellung, dass das „rasseideo-
logische Bild vom ‚Untermenschen‘ auf dem Land nicht so stark verankert war,
wie sich die NS-Ideologen dies wünschten“,167 ist weniger aus religiösen Orien-
tierungen, als vielmehr aus der wechselseitigen Abhängigkeit von Produktion und
Reproduktion versteh- und erklärbar.
Eine notwendige Voraussetzung für die Leistungen der Ausländer/-innen
stellten Gesundheit und Wohlbefinden dar. In den Äußerungen der Behörden
wurden diese Ressourcen vor allem dann zu einem Thema, wenn sie nicht in aus-
reichendem Maß gegeben waren. Das war vor allem bei jenen Kriegsgefangenen
und Zivilarbeiter/-innen aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion der Fall,
die im Frühjahr 1942 in der Landwirtschaft zum Einsatz kamen. Bereits im April
1942 berichtete der GP Seitenstetten von der Unzufriedenheit der Bauern darü-
ber, dass die sowjetischen Zivilarbeitskräfte „körperlich noch sehr herabgekom-
men sind“.168 Im Juli 1942 war sogar vom Einsatz 13- und 14-jähriger Burschen
aus der Sowjetunion die Rede, „die in vollkommen unterernährtem Zustand zum
Einsatz gelangen. Es ist daher die Folge, dass sie die von ihnen geforderten Ar-
beiten kaum oder gar nicht bewältigen können.“169 Die Arbeitskraft der ausländi-
schen Zivilarbeiter/-innen schien meist wiederherstellbar, wie im Oktober 1942
aus St. Valentin gemeldet wurde : Die „Ostarbeiter“, besonders die Frauen, hätten
„durchwegs an Körpergewicht stark zugenommen – ein Beweis, dass sie mehr und
bessere Nahrung erhalten als in ihrer Heimat“.170 Dagegen überlebten zahlreiche
der in den Wehrmachtslagern über den Winter 1941/42 ausgehungerte sowjeti-
sche Kriegsgefangene den Einsatz in der Landwirtschaft nicht : „Allerdings war ein
Teil der zugewiesenen Kriegsgefangenen noch immer so unterernährt, dass er den
schweren landwirtschaftlichen Arbeiten nicht gewachsen war und auch einzelne
Kriegsgefangene nach dem Einsatz gestorben sind.“171 Die Lösungsvorschläge von
Amtsträgern in den unteren und mittleren Dienststellen maßen den Wert der im
„Arbeitseinsatz“ stehenden Menschen ausschließlich an ihrer Leistungsfähigkeit.
Unter den sowjetischen Arbeitskräften seien, so der Landrat Waidhofen an der
Thaya im Mai 1942, „einige arbeitsunfähige und schwerkranke Russen dabei, die
bei nächster Gelegenheit wieder zurücktransportiert werden müssen“. Die Lösung
dieses Problems liege in einer „genaueren Durchschleusung“ ; dadurch würde „viel
Ärger erspart werden, da der Rücktransport lange auf sich warten lässt und die
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937