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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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308 „Menschenökonomie“ unter Zwang von der wochen- und monatelangen Dauer solcher Anlernvorgänge. Bereits vor der Erstzuweisung von „Ostarbeitern“ hatte der Postenführer wiederholt auf die „Ungeschultheit“ der „fremdsprachigen“ Arbeitskräfte hingewiesen. Im August berichtete er, die neu zugeteilten Arbeitskräfte aus der Sowjetunion seien „gröss- tenteils arbeitsunkundig, müssen erst angelernt werden und bringen es überhaupt nicht soweit, dass sie eine deutsche Arbeitskraft voll ersetzen können“.188 Zwei Monate später beurteilte er die meisten „Ostarbeiter“ noch als „sehr ungeschickt“ ; das Anlernen gehe nur „sehr langsam“ vor sich. Im folgenden Monat zeichnete sich jedoch bereits ein Meinungsschwenk ab : „Die Ostarbeiter und -arbeiterinnen beginnen langsam die Arbeiten bei den Bauern zu erlernen und sind so manche schon ganz gut verwendbar.“189 Lernen erfolgte im bäuerlichen Milieu seit jeher weniger durch Belehren und Zuhören, mehr durch Vorzeigen und Nachmachen ; häufig vermittelten nicht Worte, sondern Gesten die praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten.190 Wegen anfänglicher Verständigungsprobleme mit den der deutschen Sprache kaum mäch- tigen Neuankömmlingen lag diese wortkarge, gestenreiche Form der Kommunika- tion umso näher. Sergej Zakharovich Ragulin verdeutlicht die Schwierigkeit, die kryptischen Andeutungen seiner Dienstgeber in Zwerndorf richtig auszulegen : „Bezeichnend war nun  – wie lange habe ich dort gelebt, drei Jahre  – wenn man mich irgendwohin schickte, etwas zu tun, so haben sie mir nie erklärt, wie es zu tun ist, was zu tun ist, ob es besser so oder schlechter so ist. Sie haben mich einfach arbeiten geschickt, das wars dann. Ich bin immer hingefahren und habe mir selbst ausgedacht, was zu tun ist. Ob pflügen oder aufräumen oder Heu richten, was auch immer, nur irgendwas halt.“191 Als ein polnischer Zivilarbeiter wegen eines Diebstahls vom Hof weg verhaftet wird, muss Sergej Zakharovich Ragulin an dessen Stelle treten : „Mich versetzte man zu den Pferden damit ich mich um die Pferde kümmere, drei Pferde, Susi, Bubi, Fritz [schmunzelt] waren die Pferde. Als ich durchging, habe ich gesehen, wie der Pole sie versorgt, und so habe ich schnell begriffen, was ungefähr zu tun ist.“192 Die Zumutung, von einem Tag auf den anderen die Verantwortung für die Pferde zu übernehmen, bietet dem Jugendlichen wohl auch einen Anreiz ; er sieht sich nunmehr als erwachsener Pferdeknecht, und will von den anderen auch so gesehen werden : „Das heißt, für mich hat dann bereits eine vollwertige Arbeit be- gonnen von vier Uhr morgens und bis zehn am Abend.“193 Für zahlreiche jugend- liche Ausländer/-innen gingen Arbeiten-Lernen und Erwachsen-Werden Hand in Hand, bedingten einander sogar von Fall zu Fall. Diese Wachstumserfahrung im doppelten Sinn trägt wohl auch dazu bei, dass die erlebte Überforderung im heuti-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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