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Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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312 „Menschenökonomie“ unter Zwang Dass Dimitrij Filippovich Nelen in der Schilderung seiner Ausbeutungserfahrun- gen neben den Feldarbeiten auch die Pflege des Viehs erwähnt, deckt sich mit der statistisch belegbaren Forcierung der Milch- und Mastviehhaltung im Gut Ober- siebenbrunn. Die Gewalt, die vom Gutsverwalter ausging, erzeugte eine eigentüm- liche Dynamik innerhalb der Gruppe der „Ostarbeiter“. Er erzählt von den Stra- tegien der dort beschäftigten „Ostarbeiter“, sich vor dessen Schlägen zu schützen : „Und der Gutsverwalter, der Gutsverwalter prügelte mit dem Stock, und dort wa- ren hauptsächlich Stadtburschen [andere ausländische Zivilarbeiter], die wissen doch nicht wie man arbeitet. Nun, wir arbeiten mit Jätgabel, und sie kennen das nicht, und so kommen sie uns nicht nach, und die prügeln sie. Und da kommen wir in die Bara- cke, und sie ziehen dann die Decke auf dich und verprügeln einen, weil du schneller warst, und seit dieser Zeit wurden wir also nicht mehr schneller, nur alle zusammen […], und dann fingen wir also an, gemeinsam zu arbeiten. Also, reiß nicht aus, sonst kann man eine auf den Deckel von den Seinen bekommen. So war es.“204 Die Gewalt der „Stadtburschen“ gegen die geübteren Landarbeiter zwang jedes In- dividuum dazu, die Strategie der Gemeinsam-Arbeitens einzuhalten ; darüber kon- stituierte sich die Arbeitskolonne als handlungsmächtiges Kollektiv und versetzte sich in die Lage, die Gewalt vonseiten des Gutsverwalters einzudämmen. Dieser Fall verdeutlicht wie jener der ungarisch-jüdischen Familien die Allgegenwart kör- perlicher Gewalt beim Kolonneneinsatz ; sie zeigen aber auch deren unterschied- liche Wirkungsmechanismen. Arbeitszwang konnte, wie im Fall der „ungarischen Juden“, von außen her ungehindert auf die Betroffenen einwirken. Im Inneren der Arbeitskolonne konnte jedoch auch, wie im Fall der „Ostarbeiter“, ein Wider- standspotenzial entstehen, um den von außen kommenden Zwang abzuwehren. Äußerliche Zwangsmaßnahmen ermöglichten nicht nur die Ausbeutung billiger und entrechteter Arbeitskräfte ; sie erforderten auch einen erheblichen Überwa- chungsaufwand, der zwar in Guts- und größeren Bauernbetrieben, jedoch kaum in bäuerlichen Klein- und Mittelbetrieben tragbar war. Bäuerliche Familienbetriebe lösten das Problem der Arbeitsüberwachung weniger durch äußere als durch innere Zwänge, wie der in Zwerndorf eingesetzte Zivilarbeiter Sergej Zacharovic Ragulin aus Russland erzählt. Der Hofbesitzer übertrug dem damals 14- bis 15-jährigen Burschen die Verantwortung für das Pferdefuhrwerk  – eine Aufgabe, die der ei- nes erwachsenen Rossknechtes entsprach. So musste er immer wieder zur Mühle fahren, um Getreide abzuliefern und Mehl zu holen. In der heutigen Erzählung erscheint das damalige Geschehen als Bewährungsprobe. Er wurde nicht nur dem Vertrauen des väterlichen Bauern gerecht, sondern enttäuschte auch die Hoffnung der Mühlenarbeiter, der kleingewachsene, schwächlich anmutende Jugendliche
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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