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339Gerechter
Lohn oder Ausbeutung ?
sche Juden“, beschäftigten, nicht auch von deren Arbeitsleistung profitiert hätten.
Zwar zeigt sich in Einzelfällen, dass ‚teurere‘ Ausländer/-innen, etwa slowakische
Wanderarbeiter/-innen, gegen ‚billigere‘, etwa IMI, ersetzt wurden.292 In der Mehr-
zahl der Fälle bestanden jedoch solche Wahlmöglichkeiten nicht
– man stellte jene
Arbeitskräfte ein, die momentan verfügbar waren. Angesichts der kriegsbedingten
Verknappung der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskräfte war die Frage, ob
ein Bauern- oder Gutsbetrieb die anfallenden Arbeiten bewältigte, existenzieller
als die Frage, wer diese Arbeit durchführte. Vor diesem Hintergrund brachte die
Leistung jeder und jedes einzelnen der Zivilarbeiter/-innen, Kriegsgefangenen und
„ungarischen Juden“ in der Land- und Forstwirtschaft beträchtlichen Nutzen für
Betriebe, Kommunen und den Staat im Besonderen sowie für die Gesellschaft des
Deutschen Reiches im Allgemeinen.
Was unsere auf den Geldlohnanteil fokussierte Kalkulation bisher außer Acht
gelassen hat, ist der Naturallohnanteil der Entlohnung ; davon bildete neben Un-
terkunft und Bekleidung die Ernährung den überlebenswichtigsten Teil. Die gän-
gige These, dass ausländische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft im Vergleich zu
jenen in Bergbau und Industrie bessere Arbeits- und Lebensbedingungen vorge-
funden hätten, wird einerseits mit der Quantität und Qualität der Ernährung be-
gründet.293 Andererseits findet sie eine Begründung im Essen am gemeinsamen
Tisch oder aus der gemeinsamen Schüssel, womit Hierarchien zwischen den In-
und Ausländer/-innen aufgeweicht oder sogar nivelliert worden seien.294 Die Trif-
tigkeit dieser These lässt sich nur im Kontext der vor Kriegsbeginn herrschenden
Ernährungsverhältnisse im ländlichen Österreich prüfen : Entsprechend der infor-
mellen Arbeitsmoral galt noch bis in die 1930er Jahre die Grundversorgung
– Ver-
pflegung, Unterkunft und Bekleidung – als Lohnbestandteil des bäuerlichen Ge-
sindes und, in eingeschränktem Maß, auch der Taglöhner/-innen.295 Dagegen war
die Ernährung der in- und ausländischen Saisonarbeiter/-innen in den großbäuer-
lichen und Gutsbetrieben bereits in hohem Maß durch Verträge formalisiert.296 In
diesem Spannungsbereich zwischen informeller und formeller Regelung bewegte
sich auch die Ernährung ausländischer Landarbeitskräfte ; sie unterschied sich vor
allem danach, ob die Verpflegung im Lager oder im Haushalt der Dienstgeber/-
innen erfolgte.
Für die in Lagerverpflegung stehenden Arbeitskräfte galten von den zustän-
digen Behörden festgelegte Richtsätze.297 Gemäß der Anordnung des Oberkom-
mandos des Heeres vom Jänner 1941 erhielten auch in der Landwirtschaft ein-
gesetzte Kriegsgefangene nur zwei Drittel der ausländischen Zivilarbeiter/-innen
zustehenden Verpflegungssätze.298 Der den Bestimmungen der Genfer Konvention
zuwiderlaufende Einsatz von Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie hatte un-
terschiedliche Verpflegungssätze für die Land- und Industriearbeiter/-innen zur
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937