Seite - 407 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 407 -
Text der Seite - 407 -
407Staatshilfe
als „Auslese“
Von diesem Fall ausgehend soll nun die Entschuldungs- und Aufbauaktion
in den vier Untersuchungsgemeinden und -regionen nachgezeichnet werden.
Beginnen wir mit der Höhe der Schulden, die im Zuge des Verfahrens erfasst
wurden. Leitner rangierte mit einem Schuldenstand von 1.578 Reichsmark oder,
umgerechnet auf die Kulturfläche, 59 Reichsmark pro Hektar deutlich unter dem
Durchschnitt seiner Wohngemeinde mit 3.086 bzw. 108 Reichsmark. Damit lag
Frankenfels am unteren Ende des Spektrums ; Spitzenreiter waren St. Leonhard
am Forst mit im Schnitt 7.217 Reichsmark Gesamtschulden und Auersthal mit
durchschnittlich 895 Reichsmark Schulden pro Hektar Kulturfläche (Tabelle 5.7).
Diese Unterschiede waren unter anderem begründet durch die unterschiedlichen
Ertragspotenziale der lokalen Agrarsysteme, die mehr oder weniger Schuldenlas-
ten tragbar erscheinen ließen. Zudem fallen innerhalb desselben Agrarsystems Un-
terschiede nach Betriebsgrößen auf, wenn wir die Betriebe nach der Kulturfläche
drittelweise zusammenfassen : In Auersthal und St. Leonhard am Forst nahmen
die Hektarschulden mit steigender Betriebsgröße ab ; damit stiegen auch die Ge-
samtschulden. Ein Zusammenhang mit der größeren Bodennutzungsintensität
der kleineren Betriebe, die sich auf Wein- und Hackfruchtbau konzentrierten,
scheint gegeben. Frankenfels wich von diesem Muster ab ; hier lagen die Hekt-
arschulden im mittleren und oberen Drittel sowie die Gesamtschulden im un-
teren und mittleren Drittel auf etwa demselben Niveau. Völlig aus der Reihe fiel
Heidenreichstein, wo die höchsten absoluten und relativen Schuldenstände in den
mittleren Betrieben zu finden waren. Hier kombinierten die kleineren Betriebe die
Landwirtschaft mit hausgewerblichem oder außerhäuslichem Erwerb ; die dadurch
gegebene Flexibilität vermochte offenbar, gerade in Krisenzeiten, die Überschul-
dung einzudämmen. Dies kommt etwa in der Begutachtung eines Kleinbetriebes
in Reinberg-Heidenreichstein durch die Landstelle Wien zum Ausdruck : „Besitz
vermag trotz seiner Kleinheit durch Nebenbeschäftigung
– Weberei, Heimarbeit
–
die sechsköpfige Familie zu erhalten.“97
Neben der Höhe der Schulden verdient auch ihre Zusammensetzung Aufmerk-
samkeit ; denn sie führt uns auf eine Spur zu den Triebkräften der Verschuldung in
den 1930er Jahren. Betriebs- und gemeindeweise betrachtet werden unterschied-
liche Akzente erkennbar (Abbildung 5.10 und Tabelle 5.8). Unter den Außen-
ständen Leitners waren im Vergleich zu den übrigen Betrieben der Gemeinde die
Anstaltsdarlehen unter-, die Privatdarlehen überdurchschnittlich vertreten. Im
Gemeindevergleich besaßen Darlehen in Frankenfels mit gut der Hälfte den ge-
ringsten, in Auersthal mit drei Vierteln den größten Anteil an den Schulden. Diese
Kluft war wohl auch Ausdruck der unterschiedlichen Zugänge zum Kreditmarkt
in der voralpinen Peripherie und nahe dem Finanzzentrum Wien. In beiden Ge-
meinden hatten die Privat- gegenüber den Anstaltsdarlehen geringeres Gewicht
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937