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432 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
nicht an der Aufbauaktion teilnahmen ; war dies doch der Fall, wurden nur selten
Zuschüsse vergeben sowie Investitionen in Gebäude und Maschinen getätigt. Im
AGB Matzen gelegen, mit weniger als fünf Hektar Grund ausgestattet, Acker- und
Weinbau kombinierend – dieses Merkmalsprofil kennzeichnete jene Betriebe, die
aus Sicht der Landstelle offenbar am Rand der aufbaubedürftigen, -fähigen und
-würdigen Klientel rangierten.
Zur Vertiefung der breiten Streuung der Entschuldungs- und Aufbaubetriebe
dienen ausgewählte Beispielfälle (Tabelle 5.16).160 Die 30 Hektar große Grünland-
Waldwirtschaft des von den Gutachtern der Landstelle als „strebsam“ gewürdigten
Leopold Leitner und dessen Ehefrau in Frankenfels, die für die hoch subventionier-
ten Aufbaubetriebe steht, haben wir bereits kennengelernt.161 Die kreditfinanzierten
Leistungsbetriebe repräsentiert die zwölf Hektar große Hackfruchtwirtschaft von
Alois und Maria Wegerer in der zu St. Leonhard am Forst gehörenden Katastral-
gemeinde Grimmegg. Es handelte sich, dem Urteil der Gutachter der Landstelle
zufolge, um einen „äußerst intelligente[n] und fleißige[n] Arbeiter“ sowie eine „gut
und fortschrittlich arbeitende Familie“. Mit 500 Reichsmark lag die „Leistungsfä-
higkeit“ zwar nicht relativ zur Kulturfläche, doch absolut betrachtet an der Spitze.
Da kein Entschuldungsverfahren beantragt wurde, sind wir über den Schulden-
stand nicht informiert. Im Rahmen der Aufbauaktion waren Um- und Neubau-
ten von Stall, Schuppen und Keller sowie die Errichtung einer Düngerstätte und
Jauchegrube geplant ; die Deckung erfolgte großteils über ein Aufbaudarlehen, das
den Schuldenstand des Betriebes massiv erhöhte.162
Für die mäßig subventionierten Grenzbetriebe steht die zehn Hektar große Hack-
fruchtwirtschaft von Leopoldine Kleinstätter in Kleinpertholz bei Heidenreich-
stein. Die Familie wurde als „fleißig, anspruchslos, peinlich sauber“ beurteilt, der
Ehemann der Besitzerin, Ortsbauernführer und „Alter Kämpfer“ der NSDAP,
als „zuverlässig als Mensch und Bauer“. Die geringe Leistungsfähigkeit von 90
Reichsmark verweist auf die kargen Ertragsbedingungen dieses Standorts. Neben
einem Anstaltsdarlehen, das im Zuge des Entschuldungsverfahrens teils festge-
schrieben, teils abgelöst wurde, lasteten erhebliche Restkaufgelder auf dem An-
wesen ; diese wurden durch beträchtliche Nachlässe und Ablösungen gedeckt. Im
Zuge der Aufbauaktion bewilligte die Landstelle den Neubau des Schweinestalls
und den Ankauf eines Elektromotors ; diese Investitionen wurden zur Gänze durch
Zuschüsse gedeckt. Aufgrund der Nachlässe im Entschuldungsverfahren verrin-
gerte sich der Schuldenstand um einen nennenswerten Betrag.163
Die nicht aufgebauten Betriebe werden vertreten durch die zwei Hektar umfas-
sende Acker-Weinbauwirtschaft von Peter und Theresia Zuber in Auersthal. Aus
der Sicht des amtlichen Gutachters handelte es sich zwar um eine „fleißige, ar-
beitsame Familie“, die jedoch „ungeschickt in der Wirtschaftsführung“ sei ; daher
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937