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480 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
fand ; zur Grundausstattung zählte er nur in den Gän sern dorfer Betrieben über 100
Hektar ; in Gmünd wurde er, von einem Mittel- und einem Gutsbetrieb abgese-
hen, nirgendwo registriert. Eine mittlere bis schwache Betriebsgrößenabhängigkeit
zeigten in allen Regionen die Dreschmaschine, wobei in größeren Betrieben der
Göpelantrieb ab-, der Kraftantrieb zunahm, und die Schrotmühle. Stark von der
Betriebsgröße abhängig war durchwegs die Anschaffung von Düngerstreuern und
Kartoffelerntemaschinen. Neben diesen regionalen Gemeinsamkeiten lassen sich
aber auch Unterschiede fassen : Drillmaschinen erwiesen sich in Gän sern dorf als
schwach, in Melk als mittelmäßig und in Gmünd als stark betriebsgrößenabhängig.
Die Verbreitung von Mähmaschinen, Bindemäher ausgenommen, nahm in Melk
nur schwach, in Gän sern dorf mittelmäßig und in Gmünd stark mit der Betriebs-
größe zu. Offenbar hingen die Skaleneffekte der Mechanisierung mit der Aus-
prägung des regionalen Agrarsystems zusammen : Wo bestimmte Betriebszweige
–
etwa der Ackerbau in Gän sern dorf, der Futterbau in Melk – hervortraten, waren
die daran gekoppelten Maschinen – etwa Drillmaschinen in Gän sern dorf, Mäh-
maschinen in Melk – auch in kleineren Betrieben vergleichsweise weit verbreitet.
Selbst Gmünd, wo die Anschaffung der auf den ausgeprägten Kartoffelbau abge-
stimmten Erntemaschinen stark von der Betriebsgröße abhängig war, zeigt einen
Zusammenhang mit dem regionalen Agrarsystem : Die hohe Dichte der Gärfut-
terbehälter für Kartoffeln in den Betrieben unter zehn Hektar hing hier – im Ge-
gensatz etwa zu Gän sern dorf und Mank
– nicht mit der Betriebsgröße zusammen.
Diese Vergleiche lassen erkennen, dass die bäuerliche Logik des Maschinenein-
satzes nicht notwendigerweise den Rentabilitätsmaßstäben der Fachleute folgte.
In der Schilderung eines Dissertanten an der Wiener Hochschule für Bodenkultur,
der die „Landflucht“ im nordöstlichen Niederdonau studierte, wird diese Diskre-
panz fassbar :
„Auf meine Feststellung, daß die geplante Anschaffung eines Bindemähers bei der
vorliegenden Betriebsgröße noch nicht wirtschaftlich sei, erklärte der betreffende
Bauer, daß sich seine beiden Nachbarn, Arbeiter, Motorräder angeschafft hätten, ob-
wohl sie außer am Sonntag kaum Zeit hiefür hätten, und schloß : Warum sollen sich
meine Frau und ich nicht auch die Arbeit leichter machen, indem wir uns einen Bin-
demäher anschaffen ?“272
Diese Schilderung erhellt eine Facette bäuerlicher Wirtschaftsstile, welche die
Statistik im Dunkeln belässt. Das Leitmotiv der Maschinenanschaffung bildete
in diesem Fall nicht die objektive Rentabilität, sondern die subjektive Arbeitser-
leichterung. Die Landarbeit unterschied sich von der Tätigkeit in anderen Wirt-
schaftszweigen nicht nur durch die längere Tages- und Wochenarbeitsarbeitszeit
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937