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488 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
liegt ein Zusammenhang mit der abnehmenden Zahl zu versorgender Familien-
arbeitskräfte auf der Hand. Auch der massive Rückgang der Viehhaltung der Ge-
werbebauern 1942, der sich auf Pferde, Rinder und Schweine verteilte, fiel mit der
rückläufigen Zahl der betriebseigenen Arbeitskräfte zusammen. Die Schwankun-
gen der Viehstände der übrigen Agrarsysteme beruhten zum Teil auf mehreren
Vieharten ; teils gingen sie vorrangig auf das Konto einer Gattung : der Kühe
– wie
bei den Ackerbäuerinnen 1942 –, der Schweine – wie bei den Kleinbauernfamilien
1943 –, der Stiere und Ochsen – wie bei den Zuckerrübenbauern 1944. Auch die
regionalen Gewichtsverlagerungen des Viehbesatzes hingen mit Bestandsverän-
derungen einzelner Vieharten zusammen : Die Viehverluste von 1942 gingen in
Litschau vor allem auf das Konto der Kühe, in Mank auf das der Schweine. Die
gleichzeitigen Zuwächse in Matzen waren mit steigenden Rinder- und Schwei-
nebeständen verbunden. Die Trendumkehr 1943 und 1944 ging nur in Litschau
allein auf das Konto der Rinder ; in Mank und Matzen gaben mehrere Vieharten
dafür den Ausschlag.
Nicht weniger vielfältig als der (unter-)bäuerliche Viehbesatz in den Regionen
Litschau, Mank und Matzen entwickelte sich die gutsbetriebliche Ausstattung mit
Zug- und Nutzvieh im Kreis Gän sern dorf. Wie die Arbeitskräftezahlen sind auch
die Viehzahlen der Gutsbetriebe nur für 1941 bis 1943 in den Hofkarten eingetra-
gen (Tabelle 5.26, Anhang). Zwei der vier Beispielgutsbetriebe zeigten in diesen
Jahren deutliche Wachstumstendenzen : Auf dem Gesinde-Maschinengut von Karl
Steiner in Schönkirchen stieg der Viehbesatz um ein Viertel, auf dem Taglöhner-
Maschinengut von Leopold Hutter in Markgrafneusiedl um gut ein Zehntel. Im
ersten Fall wurden die Schweine- und Kuhbestände beträchtlich aufgestockt ; im
zweiten Fall wog der Zuwachs an Pferden, Stieren und Ochsen den Verlust an Kü-
hen und Jungrindern mehr als auf. Die übrigen beiden Beispielgutsbetriebe bauten
ihre Viehbestände ab : das Marktfrucht-Milchviehgut der Dürnkruter Zuckerfabrik
um ein Viertel, das Getreide-Milchviehgut der Stadt Wien in Markthof um gut ein
Zehntel. Im ersten Fall war der Rückgang von erwachsenen Rindern männlichen
und weiblichen Geschlechts hauptsächlich dafür verantwortlich ; im zweiten Fall
übertraf der Abbau der anfangs enormen Kuhbestände um ein Drittel die Ver-
doppelung der Bestände an Jungrindern. Ein einheitliches Muster ist in diesen
Entwicklungen nicht erkennbar ; vielmehr beschritten die Gutsverwaltungen un-
terschiedliche Wege der Viehhaltung : Ab- oder Aufstockung, Extensivierung oder
Intensivierung, Schweine- oder Ochsenmast, Zukauf oder Aufzucht.
Von den 37 dokumentierten Gutsbetrieben im Kreis Gän sern dorf muss einer
wegen fehlender Viehstandsangaben ausgeschieden werden ; zudem bleibt ein
Forstgut, wie bisher, außer Betracht. Aus dem Vergleich der Gesamtviehbestände
sticht ein Extremfall hervor : das erzbischöfliche Gut in Obersiebenbrunn, das sei-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937