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500 Das „Landvolk“ und seine Meister
Wieselburg und Pyhra angeschlossenen Versuchswirtschaften.21 Zusätzlich zu den
in Nieder- und Oberdonau verstreuten Versuchswirtschaften Ritzlhof, Edelhof,
Feldsberg, Obersiebenbrunn und Weigelsdorf bestand in Eisgrub die 1895 ge-
gründete Versuchs- und Forschungsanstalt für Gartenbau samt Mendel-Institut
(Abbildung 6.1, Anhang).22
Nach Sachgebieten betrachtet war das Netzwerk agrarwissenschaftlicher Ein-
richtungen äußerst dicht geknüpft. Folgen wir der offiziellen, freilich nicht voll-
ständigen Darstellung des Forschungsdienstes, dann bestanden im Bereich der
„naturwissenschaftlichen Grundlagen“ nicht weniger als 21 Forschungsstätten, fast
zur Gänze in Wien.23 Im Bereich „Bauer, Hof, Wirtschaft“ fanden sich acht Ein-
richtungen in Wien, die bis auf eine Ausnahme der Hochschule für Bodenkultur
zugehörten.24 Unter den Leitern dieser Forschungsstätten besaßen zwei herausra-
gende Funktionen : Heinz Haushofer und Ludwig Löhr. Haushofer leitete nach
seiner Blitzhabilitation an der Hochschule für Bodenkultur 1938
– er war aufgrund
seiner vorliegenden Publikationen25 von der Vorlage einer Habilitationsschrift dis-
pensiert worden26 – das grundlegend erneuerte Institut für Agrarpolitik, zu dessen
„natürlichen Hauptaufgaben“ die Forschung über agrarpolitischen Fragen Südost-
europas zählte. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit leitete er seit 1940 die
Landwirtschaftsabteilung in der Behörde des Reichsstatthalters in Niederdonau.27
Löhr besetzte die seit 1934 bestehende Lehrkanzel für landwirtschaftliche Be-
triebslehre, Buchführung und Bewertungslehre an der Hochschule für Bodenkul-
tur, die bis 1938 Anton Steden innegehabt hatte. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte
bildeten Fragen der Preisregelung, „Landflucht“ und Frachtkosten. Daran (wie-
der-)angeschlossen war das 1929 gegründete Institut für landwirtschaftliches Be-
triebs- und Rechnungswesen, das Löhr 1934, nach dem Entzug seiner Lehrbefug-
nis wegen nationalsozialistischer Betätigung, aus der Hochschule für Bodenkultur
herausgelöst hatte. Neben der landwirtschaftlichen Buchführung befasste sich das
Institut auch mit taxatorischen Fragen ; so etwa wurde ein Bewertungsschema zur
„Arisierung“ landwirtschaftlicher Güter für die Vermögensverkehrsstelle Wien
ausgearbeitet. Zusätzlich zu den akademischen Funktionen bekleidete Löhr das
Amt des Vorsitzenden des Getreidewirtschaftsverbandes Ostmark.28 Beide Ins-
titutsleiter übten als Betreuer agrarwissenschaftlicher Dissertationen Einfluss auf
den akademischen Nachwuchs an der Hochschule für Bodenkultur aus. Die von
beiden Professoren positiv beurteilte Dissertation Erzeugungsgrundlagen und Ent-
wicklungsmöglichkeiten der Landwirtschaft im neuen Warthegau29 von 1943 zeigt, dass
die Gutachter angesichts der politisch-ökonomischen Relevanz der Arbeit für die
„Germanisierung“ der eroberten Ostgebiete über offensichtliche wissenschaftliche
Mängel hinwegsahen.30 Löhr und Haushofer traten in der Wissensgesellschaft als
ausgesprochen „politische Intellektuelle“ auf ; sie äußerten sich häufig zu agraröko-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937