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513Vordenker
des „Aufbaus“
„Systemzeit“
– durch die Angleichung an das Altreichsniveau gegeben sei ; dadurch
könnten Kapitalreserven für schlechte Erntejahre geschaffen werden.79
Die Graswirtschaften in den Voralpen und den Alpentälern befänden sich auf
einem Entwicklungsstand, der als „dürftig, mancherorts sogar als rückständig“ zu
bezeichnen sei. Die vorherrschende Futtererzeugung auf Acker- und Grünland
lege das Schwergewicht auf die Aufzucht von betriebseigenem und vermarktetem
Zuchtvieh sowie, je nach Verkehrslage, den Verkauf von Milch und Milchproduk-
ten. Dabei zeige sich ein breites Spektrum, das von der „wilden Egartwirtschaft“,
bei der beim Wechsel von Wiese und Ackerland die Grasnarbe nicht völlig zerstört
werde, über die „Kunstegartwirtschaft“ mit vollständiger Beseitigung der Gras-
narbe durch Schwarzbrache bis zur sauberen Trennung von Acker- und Grünland
reiche. Zwar seien „persönliche Rückständigkeit oder alter Brauch“ nicht die al-
leinigen Ursachen der verminderten Leistungsfähigkeit ; dennoch sei „in besseren
persönlichen Bedingungen der Hebel des Fortschrittes“ zu finden. Die agrarpo-
litischen Forderungen zielten daher darauf, die Wirtschaftsweise „in zeitgemäße
Bahnen zu lenken“ : erstens durch die Senkung des immensen Handarbeitsaufwan-
des mittels Bodenbearbeitungs- und Erntegeräten ; zweitens durch die Steigerung
der betriebseigenen Futterbasis im Hinblick auf die Ansprüche hochgezüchteten
Leistungsviehs ; drittens durch die Reduktion der Ochsenaufzucht, vor allem im
Zuchtgebiet der Murbodner Rinderrasse, zugunsten der Milchviehhaltung ; vier-
tens durch die Ergänzung der betriebseigenen Futter- und Düngermengen durch
Kraftfutter- und Handelsdüngerzukäufe ; fünftens durch den Ausbau von Trans-
porteinrichtungen wie Güterwegen, Seilbahnen und Gülleanlagen. Um die Leis-
tungsgrenzen zu erweitern, richteten die Graswirtschaften eine Reihe von For-
derungen an die Agrarpolitik : erstens die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ;
zweitens Beihilfen zur Erschließung hofferner Futterflächen ; drittens Unterstüt-
zung beim Bau von Ställen, Düngerstätten und Gärfutterbehältern ; viertens die
Beibehaltung und Verfeinerung des Kostenausgleichs für Transporte bis zur und ab
der nächstgelegenen Bahnstation ; fünftens die Stützung der Ochsenpreise bis zur
vollständigen Umstellung auf die Milchviehhaltung.80
Auch die Alpwirtschaften im Zentralalpenraum würden den Erfordernissen der
„Erzeugungsschlacht“ noch nicht entsprechen. Das zentrale Problem dieser durch-
wegs Großbetriebe sei der Transport von Betriebsmitteln und Erzeugnissen vom
Tal auf den Berg einerseits, zwischen Heimgut, Vor- und Hochalm andererseits.
Während der Ackerbau sowie die Schweine- und Schafhaltung nur der Selbstver-
sorgung dienten, sorge das Grünland für die Futterbasis der alles beherrschenden
Rinderhaltung, die neben dem Milch-, Butter- und Käseverkauf durch den Ab-
satz von Zuchtvieh und Einstellkühen den Kern der bergbäuerlichen Einkünfte
ausmache. Die quantitativ geringen, qualitativ jedoch hochwertigen Almflächen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937