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520 Das „Landvolk“ und seine Meister
erreichen. In anderen Gebieten behinderten verstreute Siedlungen, die Rand- oder
Gebirgslage sowie landwirtschaftliche Arbeitsspitzen die den Einsatz von Filmen.
Im Lauf des Krieges wurden die Filmwagen mehr und mehr vom Land abgezogen
und zur Truppenbetreuung eingesetzt. Von offizieller Seite erschien das Landkino
als ein ambivalentes Medium : Einerseits sollte es die engen Dorfhorizonte aufbre-
chen und die Kinobesucher in die nationale Gemeinschaft des „Volkes“ eingliedern ;
andererseits wurde befürchtet, dass die filmisch projizierte bürgerlich-hedonistische
Lebensweise als Alternative zur Enge des Dorfalltags die „Landflucht“ befördern
könnte. Entsprechend lautete die Empfehlung, auf dem Land „wirklichkeitsgetreue“
Filme mit klarer politischer Botschaft zu zeigen. Demgegenüber orientierte sich das
ländliche Publikum eher am Erlebniswert der Filme, deren Illusionscharakter eine
willkommene Gelegenheit zum Ausbruch aus der Alltagsroutine bot.110
Zur Resonanz der Filme des Reichsnährstandes im „Landvolk“ sind die Spu-
ren dünn gesät ; so finden sich nur vereinzelte Zeitungsmeldungen, wonach die
Vorführungen – etwa des von der Landesbauernschaft Donauland gestalteten Fil-
mes Aus der Scholle Kraft der Bauer Güter schafft in Zwettl im Februar 1941 – vor
vollen Publikumsrängen stattfanden.111 Die Wirtschaftsberatung der Landesbau-
ernschaft Donauland dachte dem Filmmedium erhebliche Schlagkraft zu, organi-
sierte sie doch zur Jahreswende 1938/39 die Ausstattung jeder Kreisbauernschaft
mit einem Stummfilmgerät und die Schulung von Vorführpersonal. Die Tonfilme,
die im Bereich der Landesbauernschaft Donauland 1938 den „größten Anklang“
fanden, umfassten sowohl politisch-ideologisch als auch ökonomisch-pragmatisch
anmutende Titel (Tabelle 6.1). Die durchschnittlichen Besucherzahlen der Vor-
führungen schwankten zwischen 300 und 12 ; dies verweist auf unterschiedliche
Publikumsresonanzen oder auch auf das Bestreben, neben Städten und größeren
Gemeinden auch kleinere Orte zu bespielen.112 Die Saat geht auf, mit 40 Vorfüh-
rungen und 10.000 Besuchern erfolgreichster Film, war ein antisemitischer Pro-
pagandastreifen, der dem „Landvolk“ die Gefahren des „Landjudentums“ drastisch
vor Augen führte.113 Blut und Boden, mit 20 Aufführungen und 6.000 Besuchern
zweiterfolgreichster Streifen, war eine von Reichsminister Richard W. Darré 1933
in Auftrag gegebene Spieldokumentation, die das „deutsche Bauerntum“ in seiner
Doppelrolle als „Volksernährer“ und „Blutsquell“ in archaischen Körperbildern in-
szenierte.114 Pflüg mit, Kamerad, mit 20 Aufführungen und 5.000 Besuchern drit-
terfolgreichster Film, wandte sich gegen die „Landflucht“ der Landjugend.115 Alle
drei Streifen zählten zum Genre des politisierten Aufklärungsfilms, der einen vom
negativen Erfahrungsraum abgehobenen positiven Erwartungshorizont
– etwa die
„Neubildung deutschen Bauerntums“ in der Ostsiedlung in Blut und Boden116 – in
Szene setzte. Demgegenüber fanden entpolitisierte Lehrfilme wie Deutscher Mais,
Achtung, Kartoffelkäfer und Erzeugungsschlacht offenbar geringeren Anklang.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937