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522 Das „Landvolk“ und seine Meister
die Angehörigen ländlicher, kirchlich geprägter Milieus – teils aus alltagspragma-
tischen, teils aus weltanschaulichen Motiven – der völligen Gleichschaltung. Die
„kulturelle Modernisierung“ des Dorfes im Nationalsozialismus via Medialisierung
zeigt einen ausgeprägt ambivalenten Charakter.119
Ein Träger der Medialisierung der ländlichen Gesellschaft in Niederdonau war
das Wochenblatt als amtliches Zentralorgan der Wirtschaftsberatung des Reichs-
nährstandes. Darüber hinaus präsentierte es sich seiner Leserschaft als Zeitung,
deren Kolumnen vielfältige Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse erfüllten :
welt- und staatspolitisches Geschehen, Fortsetzungsromane, Rundfunkprogramm,
Kleinanzeigen und so fort. Die Redaktion erhob den Anspruch, die in der „Sys-
temzeit“ zersplitterte und inhaltlich unzureichende Agrarpresse der Bauernbünde
und Landwirtschaftskammern zu bündeln und auf ein höheres fachliches Niveau
zu heben. Als Hauptschriftleiter fungierte, nach einigen personellen Wechseln,
Paul Volpini, der Leiter der Presseabteilung der Landesbauernschaft ; die Autoren
und Autorinnen stammten großteils aus den verschiedenen Fachabteilungen und
sonstigen Einrichtungen im Umkreis des Reichsnährstandes. Der Bezug war in
den ersten Monaten des Erscheinens kostenlos. Ab Juli 1938 kosteten ein Einzel-
heft 15 Reichspfennig, ein Halbjahresabonnement 2,40 Reichsmark ; diese Preise
stiegen in den Folgejahren nur geringfügig. Die Auflage lag bei über 150.000 Ex-
emplaren ; 1941 erreichte die Zahl der Bezieher/-innen an die 100.000, was einer
Reichweite von etwa zwei Fünfteln der rund 250.000 Betriebe in der Landesbau-
ernschaft Donauland entsprach.120 Wenn diese offiziellen Angaben auch überzo-
gen waren, können wir aufgrund der Monopolstellung des Wochenblatts dennoch
von einer erheblichen Reichweite unter der bäuerlichen Bevölkerung ausgehen.
Das Wochenblatt erschien seinen Machern ausdrücklich als Agent der Mediali-
sierung der ländlichen Gesellschaft. Sein Zweck reiche über das bloße Verbreiten
von Information hinaus ; vielmehr sei die Zeitschrift, so Landesbauernführer und
Landwirtschaftsminister Anton Reinthaller in der ersten Ausgabe im Mai 1938,
„[…] vor allem dazu bestimmt, die Erhaltung und Vertiefung dieser Vertrauensbindung
[zwischen Führung und „Landvolk“] zu gewährleisten. Wie es einerseits das Sprach-
rohr der Führung sein wird, so muß es andererseits der Mittler aller Wünsche und
Anregungen sein, die vom Landvolk her an die Führung herangetragen werden.“121
Sinngemäß wies Gauleiter und Reichsstatthalter Hugo Jury dem Blatt die „Aufgabe
eines Bindegliedes zwischen dem Bauernvolke und seiner Führung“122 zu. Die Bin-
deglied-Metapher wurde 1942 bespielhaft in Szene gesetzt in einer Propagandafo-
tografie, die eine rund um den Stubentisch versammelte Bergbauernfamilie bei der
aufmerksamen Lektüre der Nationalsozialistischen Landpost zeigt (Abbildung 6.3).
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937