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533Bindeglied
zwischen Führung und „Landvolk“ ?
Bauer : Freili halten mas so weiter. Bevor i mi gscheit stell, wann i was net kenn, sag i
liaber als ehrlicher Bauer : Ja, des han i halt net gwißt [Hervorhebungen im Original].“159
Der Artikel behandelt, aufgezäumt am Fall des schimpfenden Nachbarn, das Pro-
blem der „Meckerer“ – genauer, der Kritiker/-innen der bäuerlichen Arbeits- und
Lebensbedingungen im Allgemeinen, des Wochenblatts und vor allem der Kolumne
Jo des han i net gwißt … im Besonderen. Die Replik folgt zwei rhetorischen Stra-
tegien : Einerseits werden aktuelle Probleme, etwa die „Landflucht“, zwar nicht
geleugnet, doch dem vorangegangenen „System“ angelastet. Andererseits wird der
„Meckerer“ als charakterlich defizitär gezeichnet : Er sei zimperlich, böswillig, un-
einsichtig, unanständig, egoistisch, obergescheit ; so jemand könne kein richtiger
„Bauer“ sein. Was richtig wäre, wird aus der Übereinkunft des – diesmal nicht
streitenden – Bauernpaares deutlich : das Wochenblatt aufmerksam zu lesen, sich
mit vorschnellen Urteilen zurückzuhalten, Verständnis für aktuelle Probleme auf-
zubringen, bei Unklarheiten um Rat zu fragen, sich aufklären zu lassen. Einmal
mehr wird die Beziehung zwischen Reichsnährstand und bäuerlicher Bevölkerung
als Patron-Klient-Verhältnis gezeichnet : Die eine Seite gebe „Rat und Hilfe“, die
andere „Treue und Gefolgschaft“. In dieser „alteuropäischen“ Herrschaftslogik er-
scheint der „Meckerer“ als ein Klient, der dem Patron die Anerkennung als Rat-
geber versagt – und darüber das Band zwischen den beiden durchtrennt und sich
außerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft stellt. Auf diese Weise bezog das Wochen-
blatt Stellung im offenbar schwelenden Kampf um die Hegemonie im bäuerlichen
Milieu zwischen den entmachteten katholisch-konservativen Dorfeliten und den
nationalsozialistischen Machthabern.160
Neben den Inhalten stellte vor allem die Form der Kolumne für Teile der bäu-
erlichen Leserschaft eine Provokation dar. Der Dialog greift Erzählformen der
‚verkehrten Welt‘, wie sie unter anderem im bürgerlich-städtischen Genre des
„Bauerntheaters“161 gebräuchlich sind, auf und verschmilzt sie mit Inhalten der na-
tionalsozialistischen „Volksaufklärung“. Er dient als Medium des Interdiskurses, der
verschiedene Spezialdiskurse – den Medizin-, den Technik-, den Planungsdiskurs
und so fort – miteinander verwebt und gegenüber den Alltagsdiskursen vermit-
telt.162 Doch in diesem Fall scheitert die Vermittlung : Im Auge des Lesers und
der Leserin erscheint der einmal weibliche, ein andermal männliche „Bauerntölpel“
nicht mehr zwingend als Lachnummer, sondern als eigenes Zerrbild : primitiv, naiv,
borniert. Oder mit dem „Meckerer“ gesprochen : „Mir Bauern werdn da ja als dumm
hingstellt“. Was im Artikel als „Zimperlichkeit“ des „Meckerers“ verunglimpft wird,
erscheint genau besehen als subversiver Akt : Die Maske, die die Zeitungsmacher
dem „meckernden Bauern“ aufsetzen, wird von einem Teil des Lesepublikums als
Ausfluss bürgerlich-städtischer Überheblichkeit demaskiert. Im Grunde (ver-)stört
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937