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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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556 Das „Landvolk“ und seine Meister Aufbaumaßnahmen im Gebirge geringen Erfolg attestierte sowie Missstände wie Steuerlast, Arbeitskräftemangel, Geldnot, Mangel an Bekleidung oder nachhin- kende Mechanisierung beklagte. Die Identitätskonstruktion des meckernden, aber pflichtbewussten Gebirgsbauern stützte sich auf eine zweifache, allerdings schwächer ausgeprägte Differenz : einerseits zur „Arbeiterschaft“, der im Gegensatz zu „unse- ren ärmeren Gebirgsbauern“ bei „sparsamer Wirtschaftsführung“ ein erträgliches Auskommen möglich sei ; andererseits zu den „Landbauern“ im Flachland, die im Vergleich zum „steilen abschüssigen Terein“ der Bergbauern, wodurch die „Ma- schinenarbeit nicht möglich ist“, günstigere Bedingungen vorfänden (Abbildung 6.7). Leitners Eigensinn beim Schreiben seiner Briefe knüpfte teils an die Sprach- regelung der NS-Dorfelite an, teils hob er sich davon ab. Er pendelte zwischen einem angepasstem und einem oppositionellem Code : Auf die Anerkennung der geltenden Norm  – die Behebung des Arbeitskräftemangels, die Steueraufbringung, die Opferbereitschaft der Bevölkerung  – folgt stets die Kritik einer problemati- schen Praxis  – die Hilflosigkeit der Behörden, die überzogene Steuerlast, die Ver- schuldung der Betriebe.240 Die eigensinnige Weise, in der Leitner die Vergangenheit (re-)konstruierte, ver- wies in der Gegenwart von 1941 auf eine Zukunftsvorstellung. Im Hintergrund mochte Ernüchterung über leere Versprechungen des NS-Regimes für die ost- märkische (Berg-)Bauernschaft mitgeschwungen haben. Vordergründig zeichnete der Briefschreiber das Schreckgespenst, die Bergbauernbetriebe würden „durch Überlastung zugrundegerichtet“. Dieses regionale Problem verknüpfte er mit dem gesamtstaatlichen Problem der Ernährungswirtschaft : „Kurz zusamengefaßt, Ver- elendung unserer Gebirgsbevölkerung und Vernachlässigung unserer Wirtschaf- ten, ist dann ein großer Schaden der Volksernährung.“ Dieser Erwartungshorizont zog die Grenzen, in denen der Erfahrungsraum Gestalt annahm. Der Briefschrei- ber bezog sich weniger  – wie es der Interdiskurs der dörflichen NS-Elite nahe- legte  – auf die unmittelbare Vergangenheit der „Systemzeit“ ; die Kontrastfolie zur NS-Ära bildet vielmehr der Erste Weltkrieg. Trotz der „beim Weltkriege noch größere[n] Lasten“ hätten die Hofbesitzer/-innen die damaligen Einschränkungen besser verkraften können. Demgegenüber verfügten die Bauern im „jetzigen Krieg“ in zweifacher Hinsicht über einen schlechteren Stand : Zwar verwies er auf die „ganz mißerable Wirtschaftslage“ der „Gebirgsbevölkerung“ in der „Systemzeit“. Doch zugleich entzauberte er den propagandistisch überhöhten nationalsozialisti- schen „Aufbau“ der österreichischen Landwirtschaft. Indem Leitner im Vergleich zum „Weltkrieg“ für den „jetzigen Krieg“ eine Verschlechterung der bäuerlichen Lage feststellte, traf er einen wunden Punkt der offiziellen Sprachregelung, die ge- rade die Unvergleichbarkeit des damaligen Chaos mit der nunmehrigen Ordnung behauptete.241
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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