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575Der
Markt und seine (Un-)Ordnung
verfahren. Der Absatz, die Verarbeitung, die Verteilung und der Verbrauch solcher Er-
zeugnisse richten sich allein nach den Anordnungen der bewirtschaftenden Stelle.“19
Die Palette der bewirtschafteten Produkte, die wenige Tage vor Kriegsbeginn 1939
gesetzlich festgelegt worden war,20 umfasste Getreide, Futtermittel, Tiere und tie-
rische Erzeugnisse, Milch und Milchprodukte, Eier und Eiererzeugnisse, Öle und
Fette, Trockengemüse, Speisezwiebel, Zucker und Süßwaren, Saatgut und vieles
mehr. Alle bewirtschafteten Erzeugnisse landwirtschaftlicher Betriebe, die über
die Selbstversorgerrationen hinausgingen, galten mit dem Zeitpunkt des Inkraft-
tretens der jeweiligen Verordnung als beschlagnahmt.21
Die Unterscheidung zwischen Normal- und Ausnahmezustand der staatlichen
Marktregulation richtete sich nicht nur nach innen, an die wirtschaftsjuristisch
geschulten Reichsnährstandsexperten, sondern auch nach außen, an die bäuerliche
Leserschaft. Auf diese Weise reagierte das Wochenblatt offenkundig auf den bäuer-
lichen Unmut über die Bewirtschaftungsmaßnahmen, der sich auf die Marktord-
nungsmaßnahmen übertrug. Dass im bäuerlichen Erfahrungsbereich Marktord-
nung und Bewirtschaftung gleichgesetzt wurden, lag auf der Hand ; denn für beide
Regulative waren dieselben Organisationen zuständig : die Wirtschaftsverbände.
Oder wie es in der offiziellen Diktion hieß : „Die schon im Frieden neugeschaf-
fene Organisation der Märkte bildet somit die Grundlage für die im Kriege nötige
Bewirtschaftung.“22 Somit war die den Rechtsnormen folgende Unterscheidung
zwischen den beiden Bereichen in der Alltagspraxis wenig sinnvoll ; Marktordnung
und Bewirtschaftung galten als ein und dasselbe.
Was aus bäuerlicher Perspektive wohl mehr zählte, war die Unterscheidung zwi-
schen dem „geordneten und gelenkten“ sowie dem „schwarzen“ Markt, mit der sich
Hans Merkel aus wirtschaftsjuristischer Sicht auseinandersetzte :
„Der geregelte, geordnete und gelenkte Markt dient der Versorgung von Heimat und
Front. Deshalb ist es oberste Wirtschaftspflicht aller Betriebe, sich in diesen Markt
einzugliedern und den geregelten Marktablauf nicht durch eigenmächtige oder ei-
gennützige Handlungen zu stören. […] Der wichtigste Verstoß ist die Beteiligung
am schwarzen Markt. Der schwarze Markt ist derjenige Markt, der sich neben dem
geregelten Markt bildet und an dem sich der Leistungsaustausch nach Grundsätzen
vollzieht, die von der Wirtschaftsführung abgelehnt und missbilligt werden. Er ist
deshalb besonders schädlich, weil in ihm Güter eingeführt werden, die auf unrecht-
mäßige Weise der Bewirtschaftung entzogen, verwirtschaftet oder auf sonstige unzu-
lässige Weise gewonnen oder bereitgestellt worden sind. Gleichzeitig werden hier er-
fahrungsgemäß Preise gezahlt oder Tauschmittel gewährt, die die in dem geordneten
Markt verkörperte Wertordnung untergraben.“23
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937