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583Der
Markt und seine (Un-)Ordnung
der jeweiligen Bahn- oder Schiffsverladestation. Von dieser umfassenden Marktre-
gulation versprach sich der Reichsnährstand vor allem in den entlegenen Regionen
die Steigerung der Ablieferungsleistung, weil die Festpreise einen Anreiz gegen die
Verfütterung des Getreides an das Vieh boten.54 Auf diese Weise wurde der Zu-
sammenhang von abnehmender Rentabilität bei zunehmender Marktentfernung,
auf dem das Modell der „Thünenschen Ringe“55 beruht, zwar abgeschwächt, aber
nicht außer Kraft gesetzt. Denn die Regionen Nieder- und Oberdonaus waren in
unterschiedlichem Maß durch das Verkehrsnetz erschlossen : Im Wald- und Mühl-
viertel sowie im Alpen- und Alpenvorland waren die Entfernungen zur nächsten
Bahnstation oder zu Verarbeitungsbetrieben wie Mühlen, Brauereien, Brennereien,
Zucker- und Stärkefabriken weitaus größer als im westlichen und östlichen Flach-
und Hügelland (Tabelle 7.3).56 Daher beeinträchtigte die Verkehrslage vor allem
die Einkommensentwicklung der Berglandbetriebe, die umso mehr von staatlichen
Förderungstöpfen abhängig wurden.
Die Steuerungsinstrumente des propagandistischen Appells und der finanziel-
len Abgeltung traten im Lauf des Krieges gegenüber der behördlichen Aufsicht
mehr und mehr zurück.57 Zunächst beschränkte sich die Aufsicht auf die Erfas-
sung der Faktor- und Produktmengen mittels Hofkarte, Kreiswirtschaftsmappe
und anderer statistischer Erhebungen.58 Der nächste Schritt bestand 1939 in der
mit der Bewirtschaftung verknüpften Ablieferungspflicht. Die Vorschreibung der
abzuliefernden Mengen erfolgte kaskadenartig von der Reichsebene an die Lan-
desernährungsämter, von dort an die Ernährungsämter der Kreise, von dort an die
Ortsbauernschaften, von dort an die einzelnen Betriebe.59 Eine weitere Verdich-
tung erfuhr der behördliche Kontrollapparat durch die Hofbegehungskommissi-
onen, die 1942 zunächst in einigen Landesbauernschaften, 1943 reichsweit ein-
geführt wurden. Der Aufgabenbereich dieser vom Kreisbauernführer eingesetzten
Kommissionen war weit gesteckt ; er umfasste die Überwachung der angegebenen
Anbauflächen und Viehzahlen, der Verteilung der Arbeitskräfte, der Bemessung
der Ablieferungskontingente, des Verbots der Verfütterung von Brotgetreide und
der Erfüllung der Ablieferungspflicht für alle bewirtschafteten Erzeugnisse. Zwar
galt die Hofbegehungskommission nur als „Hilfsinstrument“ für Kreis- und Orts-
bauernführer ; doch im Endeffekt ermöglichte sie den Behörden weitreichende Zu-
griffe auf die bäuerliche Betriebsführung.60 Während die Hofbegehungskommissi-
onen der Überwachung dienten, wurde zunächst 1941, in größerem Maßstab 1943
auch die Bestrafung der „vereinzelte[n] Wirtschaftsführer, die dieser Verpflichtung
[zur ‚Sicherung der Volksernährung‘] – sei es infolge Unfähigkeit, sei es infolge
bösen Willens – nicht nachkommen“, im Rahmen der Landbewirtschaftungsver-
ordnung von 1937 verschärft. Konnten Anerben- und Landbewirtschaftungsge-
richte bereits bisher Treuhänder zur Wirtschaftsüberwachung von „Bauern“ und
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937