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586 Ordnung und Chaos des Marktes
Bestrafung zu entgehen oder, falls unabwendbar, diese möglichst gering zu halten.
Dementsprechend bemühten die Beschuldigten zur eigenen Entlastung und zur
Belastung anderer Personen geeignete Argumente. Manchmal belasteten die vor
Gericht Stehenden auch sich selbst, um andere, etwa Ehepartner/-innen, zu ent-
lasten. Wie auch immer, die vielfach unter Mitwirkung von Rechtsanwälten wohl
kalkulierten Aussagen vor Gericht nahmen häufig Bezug auf populäre Diskurse
wie auf alltägliche Erfahrungen der Beteiligten. Auf diese Weise legen sie Spuren
zum gesellschaftlichen Kosmos, der die gerichtsanhängigen Fälle einbettete.
Im Wechselspiel von Positioniert-Werden und Sich-Positionieren im Zuge ei-
nes sondergerichtlichen Strafverfahrens waren die Karten ungleich verteilt. Die
Sondergerichtsbarkeit beschnitt die Rechte der Angeklagten gegenüber ordent-
lichen Strafverfahren erheblich ; sie suchte ‚kurzen Prozess‘ mit als staatsgefähr-
dend eingestuften Massendelikten zu machen. Daher gilt das Sondergericht als
ein „Mittel der nationalsozialistischen Willkürherrschaft“.65 Doch die ungleiche
Verteilung der Karten zwischen Gesetzeshütern und -brechern ging nicht in der
Willkür von Polizei- und Justizbehörden auf, wie sich an einem der häufigsten
Kriegswirtschaftsdelikte, der „Schwarzschlachtung“, zeigen lässt. Die gängige An-
sicht, dass die Sondergerichte auch im Fall von „Schwarzschlachtungen“ von der in
der KWVO als Höchststrafe angedrohten Todesstrafe willkürlich Gebrauch mach-
ten,66 muss für die Landwirtschaft in Zweifel gezogen werden. Die in der Fachlite-
ratur angeführten Beispiele betreffen meist Fleischhauer, Viehhändler oder andere
in Fleischverarbeitung und -handel Tätige, die „schwarz“ geschlachtetes Fleisch in
großem Umfang, vielfach zu überhöhten Preisen, veräußerten.67 Doch in diesen
Fällen bot nicht die „Schwarzschlachtung“ an sich, sondern erst die Kombination
mit dem gewerbsmäßigen „Schleichhandel“ den Anlass zur Verhängung der Todes-
strafe. Unter den vorliegenden 144 Verurteilungen landwirtschaftlich Beschäftig-
ter wegen verbotener Schlachtung von Nutztieren findet sich keine einzige Todes-
strafe. Auch die für schwere Verstöße vorgesehene Zuchthausstrafe im Minimum
von einem Jahr, im Maximum von sechs Jahren wurde nur in 28 Prozent der Fälle
ausgesprochen. Dagegen erhielten 70 Prozent der aufgrund von „Schwarzschlach-
tung“ Verurteilten Gefängnisstrafen, die meist ein Jahr nicht überschritten ; viel-
fach waren damit auch Geldstrafen wegen Verstößen gegen Steuer- und Preisvor-
schriften verbunden. Gegen eine bloß willkürliche Urteilsfindung sprechen nicht
nur die fehlenden Todesurteile für „Schwarzschlächter“, sondern auch die nach-
weisliche Abhängigkeit des Strafausmaßes vom Tatbestand : Wer in der Haupt-
verhandlung nicht entsprechend der Anklage der Staatsanwaltschaft überführt
werden konnte, wurde vom üblicherweise dreiköpfigen Richterkollegium meist in
einigen oder allen Punkten freigesprochen. Wer nach Ansicht des Gerichts eine
„Schwarzschlachtung“, aber keinen verbotenen Verkauf des Fleisches begangen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937