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595Öffentliche
Bewirtschaftung, privates Wirtschaften
Schlachthelfer, ein Nachbar und ein Gutsarbeiter aus der Gemeinde und deren
Ehefrauen bezeugen könnten ; der Knecht sei zum fraglichen Zeitpunkt wegen
seiner Altersschwäche bereits arbeitsunfähig gewesen und von seinen Verwand-
ten zur Pflege übernommen worden, worüber dessen Sohn und Schwiegertochter
sowie die am Hof tätigen Arbeitskräfte Auskunft geben könnten ; zur Ernährung
der Arbeitskräfte sei kein eigenes Frischfleisch, sondern nur eigenes Geselchtes in
knappen Mengen und von der Nachbarschaft geborgtes Frischfleisch zur Verfü-
gung gestanden, was die Ehefrau, die betreffende Nachbarin, ein am Hof beschäf-
tigter Kriegsgefangener sowie das nach der Kündigung der Vormieter in die Miet-
wohnung eingezogene Taglöhnerpaar bestätigen könnten ; schließlich wurde der
Anzeigenerstatter als „Trinker und Malkontent“ verunglimpft, was in der Einwoh-
nerschaft der Gemeinde bekannt sei.78 Diese Verteidigungsstrategie hatte in der
sondergerichtlichen Hauptverhandlung Erfolg : Dass Binder von Anfang an eine
„Schwarzschlachtung“ gestanden (und die beiden anderen bestritten) hatte, stärkte
seine Glaubwürdigkeit ; dass die Belastungszeugen dem Angeklagten feindlich ge-
sinnt und zudem in einem Vorwurf, der „Verhamsterung“ des Schweinefleisches
unter Beihilfe des Knechtes, durch die Entlastungszeugen widerlegt worden waren,
ließ ihre übrigen Vorwürfe unglaubwürdig erscheinen. Vor diesem Hintergrund
stufte das Sondergericht den Tatbestand als leichteres Kriegswirtschaftsverbrechen
ein.
Mit dem Schuldspruch war zwar das Strafverfahren, doch noch nicht der Kampf
des Verurteilten gegen die Mühlen der Justiz zu Ende. Die Sondergerichtsbarkeit
sah keine Beschwerdemöglichkeit vor. Daher nutzte der Rechtsanwalt Binders die
Möglichkeit, Anträge auf Strafunterbrechung und schließlich ein Gnadengesuch
einzubringen. Die Argumente, die diesen Anträgen Nachdruck verleihen sollten,
nahmen Bezug auf zeitgenössische Denkfiguren, die vor allem von Geschlechter-
zuschreibungen geprägt waren : Die Anwesenheit des „Herr[n] am Hofe“ sei erfor-
derlich, um notwendige Reparaturen durchzuführen, das Getreide der vergange-
nen Ernte zu dreschen, die Felder für den kommende Anbau zu bestellen und die
Kriegsgefangenen mit strenger Hand zur Arbeit anzuhalten. Die Ehefrau sei mit
diesen Aufgaben naturgemäß überfordert :
„Der Bauer fehlt eben überall. Die sich ergebenden und dringenden Arbeiten und
Anordnungen sind derart, dass sie eben meiner persönlichen Anwesenheit bedürfen,
zumal sich eine Frau, die obendrein noch schwer leidend ist, nicht so durchzusetzen
vermag, wie es die ordentliche Fortführung der Wirtschaft unbedingt erfordert.“79
Kurz, die „ordentliche“ Wirtschaftsführung wurde mit Männlichkeit, die aktuelle
Unordnung mit Weiblichkeit assoziiert. Diese Denkfigur schien anschlussfähig
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937