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599Öffentliche
Bewirtschaftung, privates Wirtschaften
Hausschlachtungen straffer gehandhabt, sondern es seien vor allen Dingen auch die
der Berechnung zu Grunde gelegten Wochenmengen mit rückwirkender Kraft gekürzt
worden. Dies habe für ihn zur Folge gehabt, daß ihm infolge des dadurch rein rech-
nerischen entstandenen – aber in Wirklichkeit nicht mehr vorhandenen – Überhan-
ges für das Wirtschaftsjahr 1941/42 nur 2 Hausschlachtungen bewilligt worden seien.
Mit dem aus diesen beiden Schlachtungen gewonnenen Fleisch habe er jedoch die zu
seinem Haushalt gehörenden 9 Personen niemals ein Jahr lang verpflegen können.“96
Offenes Ansprechen des sich zuspitzenden Versorgungsengpasses in den bäuerli-
chen Haushalten wäre wohl als Eingeständnis der Fehlsteuerung der staatlichen
Marktregulation erschienen. Aber auch völliges Verschweigen schien dem Agrar-
apparat angesichts des wachsenden bäuerlichen Unmuts kaum machbar.97 So nä-
herte sich das Wochenblatt der Problematik auf Umwegen, als es zu Jahresbeginn
1942 in der Kolumne Das Reich der Landfrau „Ratschläge für das Haushalten mit
den zugeteilten Rationssätzen“ erteilte :
„Auch die Bäuerin hat es heutzutage mit dem Kochen nicht leicht, und wenn auch
die wirtschaftseigenen Produkte eine sichere Grundlage bilden, so muß doch mit den
vorgeschriebenen Rationssätzen das Auslangen gefunden werden. Und das eben kos-
tet manches Kopfzerbrechen, wie man es macht, daß alle Esser statt werden, ohne
allzu große Abweichungen von der ortsüblichen Kost, auf die nun einmal überall
großer Wert gelegt wird und die ja auch vielfach eine der Ursachen ist, wenn die Ge-
sindekräfte lang auf dem Hof sind und gern bleiben. Außer den Hausleuten müssen
aber auch noch oft zusätzliche Arbeitskräfte – wenn auch meist nur tageweise – mit-
verpflegt werden, und daß auch auf die zur Wehrdienstleistung eingerückten Männer
nicht vergessen wird, beweisen die Feldpostpakete zur Genüge. Da heißt es also genau
einteilen und sich den gegebenen Verhältnissen sehr gut anpassen.“98
Vordergründig beschwor die Wirtschaftsberaterin der Kreisbauernschaft Wien
hier die bäuerliche „Selbstversorgergemeinschaft“, die dank der Sparsamkeit, der
Geschicklichkeit und des Improvisationstalents der Bäuerin in der Lage sei, die
„Hausleute“, aber auch die Taglöhner/-innen und zum Militär Eingerückten an-
gemessen zu ernähren. Auf diese Weise nahm der Appell die bäuerlichen Frauen
zur Lösung eines zentralen Problems der staatlichen Marktregulierung in ihrer
Haushälterinnenrolle in die Pflicht – ungeachtet der Tatsache, dass sie durch die
Abwesenheit der eingerückten Männer vielfach zusätzlich die Rolle der „Betriebs-
führerin“ übernehmen mussten. Zwischen den Zeilen schimmerte aber auch eine
Bruchlinie dieses harmonisierenden Gemeinschaftsentwurfs durch : der moralische,
aber vorschriftswidrige Anspruch der ständigen und nichtständigen Arbeitskräfte
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937