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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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606 Ordnung und Chaos des Marktes Konrad Oberhuber führte mit seiner Ehefrau in Inzersdorf, Kreis St. Pölten, einen Landwirtschaftsbetrieb ; das Viehhändlergewerbe übte er nicht mehr aus, und seine Gastwirtschaft im Wohnort hatte er verpachtet. 1940 kaufte er von zwei bäuerlichen Betriebsbesitzern aus umliegenden Ortschaften sieben Schweine, die er „schwarz“ schlachtete. Das Selchfleisch, dessen Menge das Gericht auf 390 Ki- logramm schätzte, wurde über Vermittlung eines Brüderpaares aus der engeren Umgebung an zwei Gastwirte und einen Hilfsarbeiter im etwa 50 Kilometer ent- fernten Wien zu überhöhten Preisen verkauft. Hinzu kamen weitere Abnehmer/- innen, darunter eine Gasthauspächterin, vermutlich die Pächterin seines Gast- hauses, aus dem Wohnort (Abbildung 7.6). Dieses Beziehungsgeflecht zeigt ein charakteristisches Merkmal von „Schleichhandels“-Netzwerken : den Vertrieb der Produkte über dem Verkäufer persönlich bekannte Vermittler, die Kontakte zu Käufern außerhalb seines Bekanntenkreises herstellten. Wahrscheinlich waren es diese Schlüsselpersonen, die Oberhuber nach seiner Verhaftung mittels eines Brie- fes über seine Version der Tatgeschichte instruieren wollte ; doch das Schriftstück wurde ihm abgenommen und diente in der Hauptverhandlung als Belastungsbe- weis.111 Im zweiten Fall war ein Bauernehepaar, Franz und Aloisia Locher aus Prein- reichs, Kreis Zwettl, in ein umfassendes Tauschnetzwerk für Rind- und Schwei- nefleisch verstrickt (Abbildung 7.7). Der zentrale Akteur war jedoch ein Woh- nungsmieter des Paares, der sich als Hilfsarbeiter auf dem Truppenübungsplatz Döllersheim verdingte. 1941 und 1942 kaufte der Hilfsarbeiter von drei Klein- häuslerpaaren aus einer Nachbargemeinde zu überhöhten Preisen Fleisch und Fett, das teils aus „Schwarzschlachtungen“  – vielfach unter seiner Mitwirkung  –, teils aus genehmigten Hausschlachtungen stammte. Die Männer dieser Haushalte, al- lesamt Bedienstete beim Heeresforstamt auf dem Truppenübungsplatz Döllers- heim, kannte er von der Arbeit her. Auch seine Vermieter schlachteten ein Schwein „schwarz“ und veräußerten ihm eine kleinere Fleischmenge. Schließlich erwarb er weiteres Fleisch von zwei Bauern aus der Umgebung. Insgesamt wurden dem Hilfsarbeiter die Mitwirkung an der „Schwarzschlachtung“ von vier Schweinen und zwei Kälbern mit einem Fleischgewicht von 358 Kilogramm sowie der unbe- fugte Bezug von 110 Kilogramm Schweine- und Selchfleisch und 10 Kilogramm Schweinefett nachgewiesen. Die bezogenen Fleisch- und Fettwaren setzte er in kleineren Mengen in der näheren Umgebung ab : an einen Fuhrwerksunterneh- mer und dessen Bediensteten, einen Kellner, einen Hilfsarbeiter, einen Baupolier, einen Schrankenwärter und einen weiteren Abnehmer. Der Großteil aber floss an einen Wiener „Schleichhändler“, der dem Hilfsarbeiter wiederholt Produkte zu überhöhten Preisen abkaufte. Das Ehepaar Locher kam häufig, meist nach den „Schwarzschlachtungen“, in den Genuss geschenkten Kalb- und Rindfleisches, das
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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