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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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616 Ordnung und Chaos des Marktes Die Amtssprache der Urteilsschrift bezeichnet hier ein Arsenal von Denk- und Handlungsweisen, die gewiss dem Kalkül des Angeklagten und dessen Rechts- anwalts zur Verteidigung vor Gericht entsprangen ; darüber nimmt sie aber auch Bezug auf alltägliche, in der dörflichen Moralökonomie weithin anerkannte Prak- tiken : das wechselseitige Zugestehen von Vergünstigungen unter Ortsansässigen, die Ansprüche von Kindern und Bediensteten auf angemessene Beköstigung von- seiten der Eltern und Dienstgeber/-innen, die Orientierung der lokalen Funk- tionsträger am eingeschliffenen, von der Gemeindebevölkerung eingeforderten Entgegenkommen bei Amtshandlungen. Diese allgemein wirksame dörfliche Be- ziehungskultur hatte im vorliegenden Fall besonderes Gewicht, weil Zehner als Inhaber eines Wagnereibetriebes wohl auch auf die Interessen seiner bäuerlichen Kundschaft Rücksicht nahm  – oder nehmen musste. Bäuerliche Betriebsinhaber/-innen forderten die Rücksichtnahme auf ihre In- teressen von den Amtsträgern mitunter vehement ein, wie etwa im Fall eines zum amtlichen Wieger bei Hausschlachtungen bestellten Kleinhäuslers in mehreren Gemeinden im Kreis Melk deutlich wird : Der Wieger hatte Viehbesitzer/-innen vor dem Abwiegen geschlachteter Rinder ermächtigt, die größeren Knochen her- auszulösen ; zudem setzte er das danach ermittelte Gewicht erheblich herab. Das Sondergericht anerkannte das Argument, „wonach er infolge mangelnder Wider- standskraft gegenüber den drei Landwirten die Tat begangen hat“.142 In diesem Fall kamen alltägliche Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie zwischen Bauern- und Kleinhäuslerhaushalten bestanden, in der Amtshandlung zur Wirkung. Doch auch unter ihresgleichen setzte die lokale Bauernschaft Amtsorgane gehörig unter Druck, so etwa im Fall des Bürgermeisters von Gnadendorf, Kreis Mistelbach, der der NSDAP angehörte und einen mittelbäuerlichen Betrieb besaß. Als amtlicher Wieger rundete er bei Dutzenden von Fleischbeschauen die Schlachtgewichte nach unten ab, schätzte anstatt einer Verwiegung die Gewichte großzügig und rechnete nur eine Schweinehälfte an. Auf diese Weise entzog er etwa eine Tonne Fleisch der Bewirtschaftung. Dem Urteil zufolge habe der Verurteilte keinen per- sönlichen Nutzen aus der Tat gezogen ; jedoch habe ihm die „moralische Kraft […], den Antragstellern gegenüber festzubleiben“, gefehlt.143 Die Moral, von der hier die Rede war, bezog sich auf die staatlichen, vom Son- dergericht sanktionierten Kriegswirtschaftsbestimmungen. In den aktenmäßig dokumentierten Alltagspraktiken äußert sich hingegen eine der dörflichen Be- ziehungskultur eigene Wirtschaftsmoral, die weniger materielle, als symbolische Macht entfaltete. Der Bürgermeister von Zurndorf, Kreis Bruck an der Leitha, zugleich Betriebsbesitzer und NSDAP-Mitglied, brachte es auf den Punkt : Es sei „bei ihnen am Lande eben nicht anders gegangen“. „Nicht anders gegangen“ hieß in diesem Fall, bei der Verwiegung der Schlachttiere ein „Auge zu[zu]drücken“,
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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