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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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619Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften gen  – auch gegenläufig dazu, ‚von unten nach oben‘ sowie quer dazu wirksam. Die „Mikrophysik der Macht“150 durchdrang alle Beziehungen zwischen den Akteuren, welche Positionen sie im gesellschaftlichen Kräftefeld auch einnahmen. Zweitens kann das bäuerlich-katholische Milieu nicht auf eine Barriere gegen die Kolonia- lisierung der Alltagswelt durch das NS-System reduziert werden. Darüber hinaus bot es den Kolonisatoren  – etwa über das Prestige, über das dem Milieu angehö- rige Amtsträger vor Ort verfügten  – auch Andockstellen. Drittens war die Macht, welche Akteure im bäuerlich-katholischen Milieu entfalteten, nicht immer gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtet, sondern stand manchmal  – etwa im Fall von Denunziationen  – auch damit in Verbindung. Ländlicher Eigensinn konnte regimegegnerische wie auch -konforme Wirkung entfalten. Diese Gegenargumente zum „Resistenz“-Modell lassen sich an den vier Stilen ländlicher Schattenwirtschaft in Niederdonau belegen. Wie die Gruppe der bäuer lichen Schwarzschlächter zeigt, erforderte eine „Schwarzschlachtung“  – als Lösungs versuch des teils behördlich, teils alltagsweltlich bedingten Fleisch- und Fettproblems bäuerlicher Haushalte  – ein gewisses Maß an Vertrauen oder, wenn dieses nicht gegeben war, die Verheimlichung ; sie bedurfte einer Ökonomie des Vertrauens. Die Entscheidung, welcher Person man Vertrauen schenkte und wel- cher nicht, entschied auch über das Risiko, ob die Wirtschaftspraxis abseits der Norm von den Behörden aufgedeckt werden konnte. Denn vielfach erfolgten Anzeigen durch Mitwisser/-innen oder Mittäter/-innen, die auf diese Weise den behördlichen Machtapparat nutzten, um in ihrem Sinn Macht auszuüben.151 So gesehen ermöglichte die Ökonomie des Vertrauens in und zwischen bäuerlichen Haushalten zugleich die Verhüllung wie die Aufdeckung abweichenden Verhal- tens. Diese Einsicht lässt sich an den Gruppen der bäuerlichen „Schleichhändler“ und Getreideverfütterer hinsichtlich personaler Netzwerke vertiefen : Ländliche „Schleichhandels“-Netzwerke mit multifunktionalen Beziehungen waren darauf ausgelegt, interpersonales Vertrauen für den verbotenen, aber gewinnträchtigen überregionalen Handel mit bewirtschafteten Nahrungsmitteln über mehrere Kno- ten hinweg nutzbar zu machen. Mit wachsendem Umfang des Gesamtnetzwerks wuchs aber auch das Risiko des Vertrauensbruchs durch einzelne Akteure  – und damit des Zugriffs der Behörden. An der Gruppe der bäuerlich-amtlichen Falsch- melder können wir diese Betrachtung schließlich von den Angehörigen landwirt- schaftlicher Betriebe und Haushalte auf die lokalen Amtsträger in ihrer Doppel- funktion als Vertreter staatlicher und bäuerlicher Interessen erweitern : Was aus der Perspektive des Systems als „Amtsmissbrauch“ erschien, galt aus alltagsweltlicher Sicht als moralisch unumgängliches Entgegenkommen bei Amtshandlungen. Dass das Pendeln lokaler Bauernfunktionäre zwischen staatlichen und bäuerlichen Inte- ressen vonseiten der Sondergerichtsbarkeit zwar verfolgt, vonseiten regionaler Be-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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