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678 Ordnung und Chaos des Marktes
Die Auswertung erfolgte nach Betriebsformen, die entsprechend der Metapher
des „ganzheitlichen Organismus“ als Ergebnis natürlicher und gesellschaftlicher
Gegebenheiten definiert wurden :
„Die Betriebsform ist jenes Ergebnis der naturgesetzlichen Gegebenheiten von Boden
und Klima, der Lebensbedingungen der Pflanzen und Tiere einerseits, des Bedarfes
des wirtschaftenden Menschen, seiner Wirtschafts-, Rechts- und Eigentumsverhält-
nisse, seiner Volks- und Stammeseigentümlichkeiten, seines geschichtlich bedingten
Kulturzustandes, des Entwicklungsstandes der technischen Kenntnisse andererseits,
das am vollständigsten die jeweilige Art und Weise der Landbewirtschaftung und das
Betriebsgefüge zu kennzeichnen vermag.“221
Da die Betriebsformen weniger von den gesellschaftlichen als von den natürlichen
Einflüssen – dem Pflanzenwachstum als Ergebnis von Klima- und Bodenbedin-
gungen – her geprägt erschienen, konnten sie nach Produktionsgebieten gebiets-
mäßig abgegrenzt werden.
Entsprechend der Vorgabe, über eine bloße Reinertragskalkulation hinausge-
hend die Änderungen des Vermögens zum Maßstab zu erheben, nimmt die Er-
folgsrechnung, nach Darstellung der Land-, Arbeitskraft- und Viehausstattung,
bei einer Übersicht über das Vermögen bäuerlicher Familien ihren Ausgang (Ta-
belle 7.24). Aus den geringen Unterschieden der Landwirtschafts- und Gesamt-
vermögen zwischen den Betriebsformen schloss der Bearbeiter, „daß in bäuerlichen
Gebieten sich die Betriebsform und -größe in Ausnützung der gegebenen natür-
lichen Bedingungen mehr dem Bedarf der bäuerlichen Familie angepasst hat, als
umgekehrt die die Lebensmöglichkeit aus den gegebenen Verhältnissen ergeben
hätten“. Kurz, der „Bedarf“ der bäuerlichen Familie wurde zum „maßgebliche[n]
Moment“ der Agrarentwicklung erklärt und als „Begründung der aktiven politi-
schen Gestaltung der bäuerlichen Betriebsformen entgegen der liberalistisch-ma-
terialistischen Auffassung“ verstanden.222 Dabei lag diese vor dem Hintergrund der
nationalsozialistischen Agrarideologie naheliegende Lesart völlig fern der Realität
zwerg- und kleinbäuerlichen Wirtschaftens, die in den Buchführungserhebungen
konsequent ausgespart wurde.
Was nun folgte, war eine klassische Reinertragskalkulation als Differenz aus
Rohertrag und Aufwand. Der Rohertrag umfasst alle in einem Wirtschaftsjahr er-
zeugten und veredelten Produkte, die in Betrieb und Haushalt verbraucht oder auf
Märkten verkauft wurden ; dabei wurden die an das Vieh verfütterten Mengen,
die in die Veredelungsproduktion eingingen, nicht mitgezählt. Im Rohertrag pro
Hektar Kulturfläche kommen die Eigenarten der Betriebsformen deutlich zum
Ausdruck (Tabelle 7.25) : Das Pannonische Flach- und Hügelland zeigte, bedingt
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937