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reichs bezeichnet und mit der Sonne vergleicht, die die
Finsternis des heidnischen Götzendienstes vertreibt.
Severin in der bildenden Kunst der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts
Am 15. Mai 1848 wurde in Wien der „St. Severins Verein
zur Weckung und Stärkung des katholischen, gläubigen Sin
nes und Förderung des katholisch kirchlichen und sittlichen
Lebens durch Wort, Schrift und Beispiel gegründet.“199
Gründungsmitglieder waren u.a. auch Joseph von Führich
und Leopold Kupelwieser. Der Severin Künstler Kreis war
eine gesonderte Abteilung des Vereins, von der
ausge-hend
Severin und sein Leben, besonders die historische
Begegnung Severins mit Odoaker, zu einem beliebten
Thema in der Kunst wurde. In der Folge entstanden
zahl-reiche
Buchillustrationen, Ölbilder und Plastiken, die
zumeist die karitative und missionarische Tätigkeit
Seve-rins
oder seine prophetische Gabe zum Thema haben.
Den wohl umfangreichsten Zyklus von Zeichnungen
zum Leben des hl. Severin schuf Carl Ruß im Rahmen
seines Illustrationswerkes zur Geschichte Wiens, das er
vor 1848 vollendete.200 Das Blatt Nr. 17 trägt den Titel Der
heilige Severinus, aus Afrika kommend, christianisiert Vindo
bona zum zweiten Male. 454. Severin wird hier im Zentrum
der Komposition als alter Mann mit langem weißen Bart,
barfuß und nur mit einer einfachen Kutte bekleidet
dar-gestellt.
Um ihn scharen sich Mönche, schutzsuchendes
Volk und Krieger in Tierfellen mit Lanzen, im
Hinter-grund
erkennt man rechts die Festung Vindobona, links
erstreckt sich die Donaulandschaft bis zum Horizont. In
der Darstellung Der heilige Severinus macht der reichen und
geizigen Matrone Prokla Vorwürfe, dass sie so viel Getreide
aufspeichert, während die Armen fast vor Hunger sterben.
455 wird Severin als Fürsprecher der Armen und Unter-
zeitgenössischen Geschichtsschreibern postulierte his
torische Tatsache. Sie ist auch eine in mehrfacher Hinsicht
symbolisch aufgeladene Projektion, die in der Literatur
des 19. Jahrhunderts verbreitet wurde. Aufgrund seiner
Herkunft194, seiner Beziehungen und seines Einsatzes für
die romanische Bevölkerung wurde die Figur des hl.
Seve-rin
oft als Zeichen des Kontinuums der römischen
Herr-schaft
über den Untergang des Römischen Reiches
hin-aus
verstanden. Die Darstellung zusammen mit den „auf
Anordnung des römischen Kaisers Probus (im J. 276 n. Chr.
Geb.) hier gepflanzten Weinreben dieses Ortes“195 ist auch
als Verweis auf Severins Stellung als Vermittler zwischen
den Zeitaltern zu lesen, der römische Werte und Ordnung
in die Wirren der Völkerwanderungszeit hineinträgt.
Deutlich wird diese Interpretation der Figur Severins
etwa auch in der Ballade St. Severinus von Willibald
Bey-schlag
aus dem Jahr 1842/43, die von Verfallsstimmung
geprägt ist. Severin muss den Untergang des Römischen
Reiches erleben und tröstet sich abschließend mit dem
Gedanken an das ewige Reich. Die Parallele zur Situation
nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches
Deut-scher
Nation 1804 und der von ständigen Identitätskrisen
(Friedrich Heer) geprägten und als orientierungslos
emp-fundenen
Gegenwart erscheint in diesem
Deutungs-schema
evident.
Auch die Verlegung der Handlung in die Weinberge
von Heiligenstadt ist nicht zufällig, ist doch der
Kahlen-berg,
als Schauplatz zahlreicher, mit der österreichischen
Geschichte eng verbundene Ereignisse, ein Ort der
Ver-dichtung
kollektiver
Erinnerung.Nicht
zuletzt fließt in dem Motiv von Severin in den
Weingärten auch die biblische Weinstock-Symbolik in die
Severin-Legende ein. So wie schon im Alten Testament
das auserwählte Volk Israel mehrfach mit einem von Gott
gepflanzten Weinberg verglichen wird, wird nun Favianis
zu „S. Severins christlicher Pflanzschule“196, und die
Ver-bundenheit
von Christus mit seinen Jüngern (Joh.
15:1 – 11: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“)
ent-spricht
der Verwurzelung des Landes in der christlichen
Tradition. Der hl. Severin wird zum Hüter der Weinberge,
dem Zeichen des frühen Christentums, welches, gleich
den Weinstöcken, von den Römern hinterlassen wurde.
Das Thema von Severin als Patron der Winzer findet
sich etwa in der Ballade Der Mönch von Sievering197 wieder,
in der Johann Nepomuk Vogl den Geist des Heiligen
nächtens durch die Riede wandeln und die Reben segnen
lässt.
Johann Ladislaus Pyrker behandelt in seinem 1842
erschienenen, mit Illustrationen von Joseph von Führich,
Johann Nepomuk Geiger, Peter Fendi und auch Leopold
Kupelwieser aufwändig ausgestatteten Werk Legenden der
Heiligen198 auch den hl. Severin, den er als Apostel Öster- 194 Obwohl über Severins Herkunft wenig bekannt ist, wurde er
mehrfach als hoher römischer Adeliger
bezeichnet.195
Sickingen (1831 – 1841) 2. Bd., p. 191. Die Pflanzung der ersten
Weinstöcke in der Umgebung von Wien wurde mehrfach
darge-stellt,
vergleiche etwa die Illustration von Vinzenz Katzler im
ersten Band von Anton Zieglers Vaterländischer Bilder Chronik
(1843 – 1849, Bild Nr. 19), die die Pflanzung der Weinreben durch
den römischen Kaiser Probus zeigt. Auch Carl Ruß stellt die Szene
in seinem Bilderzyklus zur Geschichte von Wien (ÖNB Bildarchiv:
Pk 783A, Nr.14) dar, sie trägt den Titel Probus unterrichtet die
Noriker im Weinbau
278.196
Hormayr (1823 – 1825) 2. Bd., Heft 2, p. 53. Vgl. auch: Ziska
(1847) p.
29.197
Entstanden zwischen 1840 und 1850.
198 Dobersberger (1997) p.
469f.199
Zinnhobler (1982) p.
70.200
Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Pk 783A,
Nr. 17 – 22.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306