Seite - 60 - in Das zusammengedrängte Gedenken
Bild der Seite - 60 -
Text der Seite - 60 -
60 die Darstellungstradition neutestamentarischer
Hei-lungs-
und Auferweckungswunder zurück. Die Zeichnung
hat den Titel Der hl. Severin heilt den kranken Knaben eines
Hofherrn des Königs Flazitheus.
Die Zusammenkunft von Odoaker und Severin war in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das am häufigsten
dargestellte Ereignis aus dem Leben des Heiligen. Bereits
1822 schuf Carl Ruß ein Gemälde mit dem Titel Odoaker
vor dem hl. Severin in Heiligenstadt, das auf der
Kunstaus-stellung
in St. Anna ausgestellt wurde.201 Johann
Nepo-muk
Geiger zeigte auf der Kunstausstellung der Akademie
1841 eine Lithographie mit dem Titel Der hl. Severin pro
phezeit dem Heruler Odoaker seine künftige Größe, und
sowohl Anton Ziegler202 als auch Ludwig Schnorr von
Carolsfeld203 wählten diese Szene als Thema für
Illustra-tionen
geschichtlicher Werke. (Abb. 72)
Dabei findet die Begebenheit stets, wie in der Darstellung
von Carl Ruß, im Inneren einer kleinen, spärlich
beleuch-teten
Kapelle statt, was dem Geschehen einen
mystisch-romantischen
Charakter verleiht, der durch besonders
exotisch gestaltete Details wie übergeworfene Felle mit
Tierköpfen, Geweihen und Hörnern noch verstärkt wird.
Das Motiv des Herulerfürsten, dem der hl. Severin
seine Zukunft voraussagt, fügt sich in das
Handlungs-schema
Herrscher – Einsiedler (Telesko), das auf Vergils
Aeneis zurückgeht204 und zu dem auch die Szene von
Rudolf und dem Klausner in Ladislaus Pyrkers
Heldenge-dicht205
gezählt werden kann. Darin wird Rudolf von
einem Einsiedler in den Bergen seine eigene Zukunft und
die Reihe der großen Herrscher aus dem Haus Habsburg
geweissagt.206 Ein ähnliches Motiv findet sich in Karl
Johann Nepomuk Hemerleins Gemälde Ein Astrologe weis
sagt Rudolf von Habsburg, das vor 1850 entstand.207 Diese
zukünftige Ahnenreihe verweist auf die von Gott gewollte
Regierung der Habsburger und entspricht dem religiös-
drückten gezeigt (Blatt Nr. 18). Mit Der hl. Severin bewegt
durch ernstes Zureden eine Räuberbande, welche die Bürger
Fabianas oder Wiens beunruhigte, ihm die Waffen freiwillig
auszuliefern. 456. ist das Blatt Nr. 19 betitelt. Es zeigt
Severin in der Rolle des Aufrechterhalters öffentlicher
Ordnung zu Beginn der Wirren der Völkerwanderung.
Seine gute Beziehung zum Königshaus der Rugier, in
deren Einflussbereich die Stadt Wien lag, thematisiert
das Blatt Nr. 20 mit dem Titel Der bedrängte Rugen König
Flazitheus sucht Rath bei dem weisen Severinus. Eines der
am öftesten dargestellten Motive aus dem Leben des hl.
Severin wird im Blatt Nr. 21 dargestellt: Der heilige Severin
weissagt dem Heruler König Odoaker seine künftige Größe
in Italien. Anders als bei Kupelwieser, findet man hier eine
Innenraum-Situation vor; Odoaker tritt leicht gebeugt
durch eine niedrige Türe in die dunkle Kapelle, in der
Severin von vier Mönchen umgeben auf einem einfachen
Stuhl sitzt, die Rechte zum Segnungsgestus erhoben, die
Linke auf ein Pult mit einer geöffneten Bibel gestützt. Die
Krieger sind mit Schwertern, Schilden und Lanzen
bewaffnet, ihre Kleidung aus Fellen und Tierköpfen mit
Hörnern, Kettenhemden und Fellschuhen ist deutlich
phantastischer ausgestaltet als in Kupelwiesers
Kompo-sition.
Blatt Nr. 22 schließlich nimmt auf die
Wundertä-tigkeit
des Heiligen Bezug und greift dabei formell auf 201 Katalog Kunstwerke, öffentlich ausgestellt im Gebäude der oester
reichisch kaiserlichen Akademie der vereinigten bildenden Kuenste bey
St. Anna. Im Jahr 1816, Wien 1816, Nr. Z 105. Der Verweis auf
Heiligenstadt als Wirkungsstätte Severins entsprach dem
Wis-sensstand
der
Zeit.202
Ziegler (1838 – 1840) Bild Nr. 4.
203 Ziska (1847) Abb. 16, p.
31.204
6. Buch, Vers 756 – 900: Aeneas wird von der Sibylle von Cumae
in der Unterwelt die künftige Größe Roms prophezeit. Zit. nach:
Telesko (2006) p. 39 und p.
274.205
Pyrker (1825) p.46 – 55: Rudolf von Habsburg. Ein Heldengedicht in
zwölf Gesängen.
206 Die zukünftigen Herrscher werden im Text beschrieben, aber
nicht beim Namen genannt, im Anhang werden sie aufgezählt:
„Die hier bezeichneten Fürsten sind: Albrecht I., Friedrich der Schöne,
Maximilian I., Carl V., MariaTheresia, Joseph II., Leopold II., Franz I.“
(p.
403).207
Frodl (1989) p. 265, Abb. 6.
Abb. 72: „Der heilige Severin prophezeit Odoacern, daß er König
von Italien werde. Comp. von L. Schnorr“; Bildquelle: Ziska (1847).
zurück zum
Buch Das zusammengedrängte Gedenken"
Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306