Seite - 189 - in Das zusammengedrängte Gedenken
Bild der Seite - 189 -
Text der Seite - 189 -
189
1811 übergab Erzherzog Johann den Ständen der
Stei-ermark
seine private Sammlung mit der Verpflichtung, sie
den Bewohnern des Landes zugänglich zu machen658, und
schuf so den Grundstock des Landesmuseums Joanneum,
wodurch das frühere Mäzenatentum in moderner
Ver-einsform
neu organisiert wurde. 1823 folgte das Tiroler
Nationalmuseum Ferdinandeum als Forschungsstätte für
Natur, Kunst und Geschichte des Landes. Eduard Melly
forderte 1833 ein nationales Museum für Österreich
unter der Enns nach dem Vorbild des Joanneums, das als
Verein konstituiert sein sollte und dessen Programm die
Erforschung der Geschichte, die Restaurierung und
Erhaltung alter Bauten und die Lenkung der
zeitgenössi-schen
vaterländischen Kunst umfassen sollte.659
Am 5. September 1847 berichten die Sonntagsblätter
von einer geplanten – und nie realisierten –
Kunstvereins-halle
im Volksgarten, die mit Fresken zur Kunstgeschichte
ausgeschmückt werden sollte:
„Außer den beiden zur Aufnahme von Freskobildern gebauten
Kirchen in der Jägerzeile [Johann Nepomuk Kirche, Anm.]
und auf dem Kirchhofe zu Klosterneuburg, in denen Kupel
wieser, Schulz und Führich sich hier zum ersten Male als
Frescomaler dem Publikum vorführten, sollen nun noch zwei
neue Architekturwerke mit Fresken geziert werden, deren
Stoffe der Profangeschichte entnommen sind. Das eine ist
das neue Regierungsgebäude in der Herrengasse, vom Hof
baurath Sprenger gebaut, in welchem der Plafond des großen
Sitzungssaales […] mit […] Fresken von Kupelwieser geziert
werden […]. Das zweite Bauwerk wird eine neue Kunstver
einshalle im Volksgarten sein, welches nach Rösners Plänen
mit Loggien geziert wird, deren Felder zu Frescobildern,
hoffentlich aus der österreichischen Kunstgeschichte – da
wir noch keine geschrieben haben – verwendet werden. Viel
leicht erhält auch die Plastik an diesem Bauwerke ihren lange
fruchtlos ersehnten
Antheil?“Interessant
ist hier die wiederholte Verbindung von einem
zur Präsentation nationaler (Kunst)Geschichte
bestimm-ten
Gebäude und der Freskomalerei.
Kupelwiesers Vorschlag kann als konsequente
Weiter-führung
dieser Museumskonzepte zu einer den ganzen
Kaiserstaat umfassenden Geschichtsgalerie gesehen
wer-den.
Sein Modell von Geschichtsvermittlung integrierte
dabei, ebenso wie Erzherzog Johanns Modell, auch die
Landeskunde im weiteren Sinne. Seine Geschichtshalle
sollte
Präsidium eine Eingabe, in der er den Bau einer
Geschichtshalle auf dem Platz zwischen Hofburg und
Burgtor anregte.655
In einer langen Halle sollte eine Abfolge von Bildern,
zu einzelnen Zyklen zusammengefasst, die Geschichte des
österreichischen Staates darstellen. Kupelwieser erweiterte
in diesem Vorschlag den in der Statthalterei umgesetzten
Themenkreis von Ereignissen, welche das Kernland
Nie-derösterreich
mit der Monarchie verbinden, zu dem
ehr-geizigen
Unterfangen einer Gesamtdarstellung der
Geschichte des Kaiserreichs. Dabei griff er auf das Konzept
bereits existierender Institutionen dieser Art zurück, die
den vom Bürgertum im Vormärz entwickelten
Vorstellun-gen
öffentlicher Kunst entsprachen: das der
Nationalga-lerien.
1837 wurde in Versailles das Musée Historique
eröff-net,
in dem die Nationalentwicklung durch alte und neue
Gemälde bis in die Gegenwart bildlich dargestellt war; in
der Folge wurde auch in Deutschland die Forderung nach
einer ähnlichen Einrichtung laut. 1837 schreibt Paris:
„Was sollte uns da noch hindern, bei den Zeitungsberichten
von jener in colossalen Dimensionen ausgeführten gemalten
Geschichte Frankreichs […] in unserer Phantasie auch die
deutschen Künstler aller Gauen mit einer solchen gemalten
Geschichte von Deutschland zu beschäftigen, unseren Fürs
ten und Kunstvereinen aber die Aufgabe zu stellen […] Mit
tel […] nur auf grandiose Darstellungen in dergleichen
vaterländischen Museen zu verwenden?“656
Ein ähnliches Konzept regte Franz Kugler 1846 in seiner
Vorlesung über das Musée Historique in Versailles an, und
Anton Teichlein berichtet, dass die deutschen Künstler
1848 zusammen eine Eingabe an das Frankfurter
Parla-ment
verabschiedeten, in dem sie forderten, die Kunst zu
einer „National Angelegenheit“ zu machen.657 Im selben
Jahr machten die zum Verein der Düsseldorfer Künstler zu
gegenseitiger Unterstützung und Hilfe
zusammengeschlos-senen
Künstler eine Eingabe an das Parlament, in dem
sie den Bau einer Nationalgalerie vorschlugen.
Kupelwiesers Antrag fand nicht nur Vorbilder und
parallele Bestrebungen in Frankreich und Deutschland;
auch in den österreichischen Kronländern wurden, durch
aufkeimenden Nationalismus angespornt, ähnliche
Ein-richtungen
entwickelt. Aus der 1796 in Prag gegründeten
Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde und der patrio
tisch ökonomischen Gesellschaft ging 1818 das Böhmische
Nationalmuseum hervor, und Graf Salm-Reifferscheidt,
in dessen Haus auch Kupelwieser verkehrte, gehörte zu
den Mitbegründern des Mährischen Landesmuseums. In
Ungarn entstand schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts
die Idee zu einem Nationalmuseum, das, gründend auf
der von Ferenc Széchényi gestifteten Sammlung
schließ-lich
1847 eröffnet wurde. 655 Der gesamte Text ist in seinem vollen Wortlaut zitiert bei:
Feucht-müller
(1970) p.
59ff.656
Paris (1837) p.
20.657
Teichlein (1871) p.
49.658
Vgl.: Springer (1979) p. 7 u. p.
9.659
Vgl.: Springer (1979) p. 7 – 14.
zurück zum
Buch Das zusammengedrängte Gedenken"
Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306