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190 sche oder wissenschaftliche Errungenschaften sind nicht
„versteinerte Zeugen einer selbsttätig ins Heute hereinwir
kenden Vergangenheit“.668 Es bedarf einer inter pretativen
und damit auch selektiven Aneignung von Geschichte
und ihrer Aufladung mit Bedeutung. Denn es ist
„[…] nicht die Vergangenheit in der Form ,gemeinsamer
Geschichte‘, die diese Wirkung produziert, sondern die gegen
wärtige Interaktion zwischen denjenigen, die vorschlagen, die
Vergangenheit als etwas Geteiltes anzusehen, und denjenigen,
die sich davon überzeugen lassen und diese Repräsentation für
ihre eigene Orientierung in der sozialen Welt annehmen.“669
Maler, Dichter, Philosophen und Historiker waren zu
Beginn des 19. Jahrhundert an dieser invention of tradi
tion (Hobsbawm; Ranger) intensiv beteiligt. Der
Vermitt-lungsfunktion
der Kunst war sich auch Hormayr bewusst
und er setzte sie – theoretisch argumentiert und mit Hilfe
Erzherzog Johanns auch unmittelbar praktisch umgesetzt
– gezielt ein: Er bediente sich, im modernen Sinn, eines
möglichst breitenwirksamen
Mediums.„Die
Künste sind es, an denen der Zahn der Zeit, wie die
Macht der Tyrannen ohnmächtig abgleitet, und spurlos vor
übergeht, sie sind es, die den ganzen Menschen, in Sinnli
chen, Erkenntnis und Willen gleich gewaltig in Anspruch
nehmen. Und dieser unversiegbare Born der mächtigsten
Kräfte und Gefühle sollte unbeachtet bleiben? […] Das ist
die Anwendung der Kunst auf Vaterländische Gegenstände:
[…] die Historie und den Chor redender und bildender
Künste […] in einen Bund zu vereinen und durch diesen […]
dem Vaterlande, dem Gesetz, aus biedern Bürgern ebenso
viele begeisterte Parteigänger […] zu
machen.“670Kupelwieser
schrieb in seiner Eingabe an das Präsidium
der Akademie 1848:
„Unsere Bildung im Algemeinen ist so weit vorgeschritten
dass man der bildenden Kunst ihren Anteil an der Regelung
der öffentlichen Zustände nicht versagen kann, ja die Kunst
ist insofern Bedürfniß geworden, daß, würde man sie aus
schließen, eine Lüke entstünde welche unausfüllbar bliebe.“671
„[…] in Abtheilungen je nach geschichtlichen Zeitabschnit
ten getheilt, auf den größeren darbiethenden Wänden die
Geschichtsdarstellungen, an denen kleineren durch archi
tektonische Eintheilung bedingten Räumen Gemälde interes
santer Gegenden des Vaterlandes, Darstellungen aller Natur
und Kunstprodukte der betreffenden Zeit, Natur
Ereigniße,
und was immer denkwürdig und darstelbar, enthalten.“660
Berichte über das Land und seine Bewohner, Topographie
und Ökonomie der Provinzen, damals unter dem Begriff
Statistik661 subsumiert, sollten die gegenseitige Kenntnis
der verschiedenen österreichischen Provinzen fördern
und damit das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb
des Reiches stärken.662 Das gemeinschaftliche Aneignen
von Wissen über das eigene Land und die anderen
Kron-länder
war eine von vielen Strategien, verbindliche
Iden-titäten
zu
konstruieren.Nach
Friedrich Heers Interpretation durchlebte Österreich
seit dem 19. Jahrhundert ständig Identitätskrisen und war
permanent von Identitätsverlust bedroht.663 In dem
Zusam-menhang
scheint die Feststellung von Bedeutung, dass es
erst wichtig ist, von Identität zu sprechen, wenn sie sich
aufzulösen droht.664 Das noch junge österreichische
Kai-serreich
musste sich gegen zunehmend erstarkende
natio-nale
Tendenzen in allen Teilen des Reiches behaupten.
Aufgrund der divergierenden Sitten und Lebensordnungen,
der unterschiedlichen Sprachen und materiellen Kulturen
innerhalb des Vielvölkerstaates erschien als einigendes
Moment, was zugleich auch von ebendiesen nationalen
Strömungen beschworen wurde: die Geschichte.
„Die Vaterlandsgeschichte“, schrieb Hormayr, „ist die treff
lichste Schutzwaffe der Dynastie, aber auch die mächtigste
Trutzwaffe gegen fremde Übermacht und fremden Übermut.
Der Komet der französischen Revolution verwirrte alle Bah
nen, und die Geschichte, das Wissen um die eigene
Geschichte versichert die Menschen wieder ihrer Herkunft
und wirkt zugleich als fruchtbares Saatfeld der Taten und
Opfer für die Zukunft.“665
Dabei wird auf Geschichte die zur Imagination nationaler
Gemeinschaften notwendige Vorstellung einer zum
Anbe-ginn
zurückreichenden Kontinuität übertragen.666
„Die Frage nach der Auffassung von der Kontinuität und
Kohärenz der Person verweist auf die Biographie, den
Lebenslauf. Dieselbe Frage an das Kollektiv gerichtet, ver
weist auf die Vorstellung von einer gemeinsamen Geschichte,
einer gemeinsamen Erfahrung. Identität ist in einem konsti
tutiven Sinne zeitlich.“667
Um aus historischen Prozessen nationale Symbole, Helden,
Selbstbilder und Feindbilder zu konstruieren, bedarf es
einer bestimmten Auswahl und Vermittlung, denn
Perso-nen,
politische und militärische Ereignisse und künstleri- 660 Zit. nach: Feuchtmüller (1970) p.
60.661
Statistik bezeichnete ursprünglich das Gebiet der
Staatswissen-schaft,
also eine umfassende quantitative und qualitative
Beschrei-bung
der Nation unter politischen, ökonomischen,
geographi-schen
und demographischen Aspekten.
662 Vgl.: Telesko (2006) p.
48.663
Vgl.: Heer (1996) p.
17.664
Pohl (2004) p.
23.665
Hormayr (1830)
Einleitung.666
Vgl.: Telesko (2006) p.
19.667
Wagner (1998) p.
69.668
Bruckmüller (1996) p.
359.669
Wagner (1998) p.
70.670
Hormayr (1810 – 1830), 8. Jg. (1817) p.
237.671
Kupelwieser, Eingabe an das Präsidium der Akademie der bildenden
Künste, zit. nach: Feuchtmüller (1970) p. 60.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306