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192 bedingt verstanden werden, aber im Folgenden soll ein
umfassenderer Ansatz formuliert werden. Die Entstehung
des Freskenzyklus fiel in eine Zeit des – als Reaktion auf
die fortschreitende Zentralisierung innerhalb des
Kaiser-reiches
– zunehmenden Landespatriotismus.689 Diese
Entwicklung führte zu einer intensiven
Auseinanderset-zung
mit der Landesgeschichte und in weiterer Folge zur
Entstehung der Vaterlandskunde – der Beschäftigung mit
Kunst, Volkskultur und Geographie eines Landes bzw. der
eigenen engeren Heimat. Jan Assmann hat auf die
Unter-scheidung
zwischen ethnischen Grundstrukturen,
näm-lich
den lokalen Gemeinschaften, und den Steigerungs
formen überregionaler Herrschaft hingewiesen.690 Auch
Peter Wagner nennt in seinem Beitrag691 drei Kategorien
kollektiver Identität: durch natürliche Kennzeichen
aus-gezeichnete,
solche, deren Identitätskriterium dauerhaft
sozial bestimmt ist und die politische Nation, die durch
Wahl ständig neu geschaffen werden muss. Bruckmüller
konkretisiert diese Aussage für den Österreicher, der bis
1918 historisch nach- oder nebeneinander eine Identität
als Bewohner Ober- oder Niederösterreichs, Bewohner der
althabsburgischen Länder zwischen Rhein und Leitha, als
Untertan der Habsburger bzw. Angehöriger des
österrei-chischen
Kaiserstaates und Staatsbürger der
Zisleithani-schen
Reichshälfte der Monarchie haben konnte692 – ein
Zustand, der zu Mehrfachloyalitäten693 führte.
Das österreichische Kaiserreich entsprach weder der
romantischen Vorstellung einer Gesellschaft, die durch
gleiche Sprache und Kultur auch zu politischer
Gemein-schaft
prädestiniert ist, noch konnte es dem
revolutionär-französischen
Vorbild der politischen Identität einer
Nation, geprägt durch politisches Bekenntnis und Willen,
folgen. Es musste enorme Überzeugungsarbeit geleistet
werden, um Menschen, die bisher mehrheitlich in
klein-räumigen
Gruppen gelebt hatten, nicht nur davon zu
überzeugen, Österreicher zu sein, sondern auch davon,
dass diese nationale Zugehörigkeit aus dem Menschen
etwas ganz Besonderes macht und das zentrale
Kenn-zeichen
für das Individuum sei.
Landespatriotismus hingegen war, als sozio-kulturell
bestimmte Formation, leichter darzustellen und zu popu-
Hormayr schuf damit einen Gegenentwurf zu einer
stati-schen
ethnisch einheitlichen nationalen Denkfigur: die
Unterschiede, die Reibungswärme, die an den
Grenzflä-chen
entsteht, erzeugt ein dynamisches Gleichgewicht,
die Prozesse innerhalb der Gemeinschaft halten diese in
ständiger Bewegung und schaffen Identität. Weiter heißt
es in dem Text:
„Damit es ihm nicht an einem Namen und Symbol, der unge
heuren Radien nicht an einem Brennpunkte gebreche, heißt
der Verein: das Erbkaisertum
Österreich.“685Der
Name wird hier zum Versprechen einer Kontinuität
des Identischen über die Zeit hinweg.
Obwohl nun Kupelwieser dezidiert in seinem
Programm-entwurf
vom unerschöpflichen Born der österreichischen
Geschichte spricht, beschränkt sich sein Bilderzyklus
doch auf Ereignisse aus der Geschichte
Niederöster-reichs
und Wiens. Die genaue Formulierung der
Aufga-benstellung
für das historische Programm ist dabei nicht
dokumentiert, im ersten Programmentwurf findet sich
jedoch ein entscheidender Hinweis: Kupelwieser bemerkt
hier, er habe
sich„durch
Vorliebe für den erhabenen Helden [Karl V., Anm.]
zu dessen irrigen Anwendung [Darstellung Karls V. Zug nach
Tunis, Anm.686] verleiten lassen.“
Die Darstellung des Zugs nach Tunis weist als einziges
der ausgewählten geschichtlichen Momente keinen
Bezug zu Niederösterreich auf.
Diese Reduzierung der Geschichte Österreichs auf die
Geschichte des Kernlandes Niederösterreich ist dabei
auch ein Rückbezug auf einen Ursprung, auf eben das
Land, das die (damals viel diskutierte) Urkunde von 996
mit dem Namen Ostarrichi bezeichnete. Hier wird
deut-lich,
welche Bedeutung einem Namen zukommt, der im
Wandel der Zeiten eine Vielzahl von territorialen und
herrschaftlichen Verhältnissen beschreibt und selbst
nar-ratives
Potential enthält: Er aktualisiert einen Vorrat an
Aneignungen der Vergangenheit, an Erklärungen des
Bestehenden, aber auch Versprechen für die Zukunft.687
„Österreich wurde im Laufe der Jahrhunderte von einer vari
ablen Regional zu einer stabilen Landesbezeichnung, später
zum Dynastienamen und sekundär wieder zur Territorialbe
zeichnung.“688
Nachdem das österreichische Kaiserreich auf keinen für
alle gültigen Ursprungsmythos und keine Gründerfigur
verweisen konnte, wurde hier Niederösterreich mit Wien
zum Ursprung des späteren habsburgischen Reiches.
Die Beschränkung des Freskenzyklus auf die Darstellung
von Ereignissen aus der Geschichte eines Landes kann
auch als unmittelbar durch den Ort seiner Anbringung 685 Ebd. p.
X.686
Das Aquarell dazu befindet sich in Privatbesitz. Vgl.:
Feuchtmül-ler
(1970) p.
277.687
Vgl. Pohl (2004) p.
31.688
Bruckmüller (1996) p.
90.689
„Provinzialpatriotismus ist zwar löblich, aber Nationalgeist, Gefühle
fürs große Ganze ist noch löblicher.“ Hormayr (1807 – 1814)
12. Bd. (1807) p.
XI.690
Assmann (1992) p. 144 –
160.691
Wagner (1998, B) p.
58.692
Bruckmüller (1996) p.
91.693
Telesko (2006) p. 24.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306