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194 Übermuthes“707 nicht nur den ersten Herrschersitz der
Babenberger, sondern auch eine Kirche und ein
Chor-herrenstift
zu gründen.
Im unteren Teil des Freskenzyklus, in dem einander vier
jeweils thematisch verwandte Bildpaare
gegenüberge-stellt
werden, übernimmt die Darstellung der
Türken-kämpfe
noch eine andere Funktion. Zusammen mit dem
Gemälde Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern wird
sie zum Symbol des Abwehrmythos, der einigenden Siege
über die Türken – bzw. das „Heidentum“ – und die
Fran-zosen
und damit über revolutionäres Gedankengut
all-gemein.
Die Darstellungen der Kämpfe gegen die Türken
und Franzosen schließen an den Kanon vaterländischer
historischer Momente an und setzen ihn fort, wie später
Fernkorn das Motiv wiederum aufnehmen und gerade
dort als Denkmal verwirklichen sollte, wo Kupelwieser
den Bau einer Geschichtshalle vorgeschlagen hatte.
„Eine wesentliche Verankerung habsburgischer ,imagined
community‘ und deren Visualisierung bestand somit in einer
politisch religiösen ,Grundkonstante‘, die auf die ,Pietas
Austriaca‘ einerseits und die ,Abwehrkämpfe‘ gegen Türken
und Franzosen andererseits ausgerichtet war […]“.708
Ähnlich formuliert
Wagner:„Ein
Bewusstsein von Gleichheit innerhalb einer Gruppe
schließt die Vorstellung ein, sich von Nichtangehörigen die
ser Gruppe zu unterscheiden. Dieses Phänomen wird gegen
wärtig als Abgrenzung des Eigenen vom Fremden, vom Ande
ren, diskutiert und problematisiert.“709
Durch das Fehlen eines eindeutigen Gründungsmythos,
einer gemeinsamen Sprache, Kultur und Geschichte
stan-den
in der österreichischen Monarchie vor allem die
Staatsverteidigung und das Heer im Mittelpunkt des
Inter-esses.710
In der militärischen Auseinandersetzung
konkre-tisiert
sich das kollektive Selbstbild und gewinnt an
Kon-tur:
Identität benennt den inneren Zusammenhalt von
Gemeinschaften, aber auch ihre Abgrenzung nach außen.
Die Fresken in den Arkaden des Münchner Hofgartens
sind eine beinahe wörtliche Illustration dieses
dialekti-schen
Grundsatzes: Sie zeigen in sechzehn Bildfolgen
jeweils ein friedliches und ein kriegerisches Geschehen
aus der Geschichte der Wittels bacher.
Bei Leopold Kupelwieser stellt sich der Sachverhalt
kom-plexer
dar: Um die Identität eines Phänomens festzu-
Die tiefe Verwurzelung des Landes in der christlichen
Religion schildert Kupelwieser auch in einem konkreten
geschichtlichen Ereignis: Odoaker trifft den heiligen
Severin, den ersten Apostel Österreichs, „[…] alle Entfal
tung und Blüthe Österreichs auf Grundlage christlicher
Gesittung bauend“.703 Severin als Volksheiliger verkörpert
im Gegensatz zum staatspolitischen Katholizismus der
Habsburger eine private Ausprägung von Gläubigkeit.
Die Darstellung ist dem „Handlungsmodell Herrscher und
Einsiedler“704 zuzurechnen, zu dem etwa auch die Szene
Rudolf von Habsburg und der Einsiedler gehört, die
Ladis-laus
Pyrker in seiner Dichtung Rudolphiade beschreibt.
Die Strategie der Einbettung in eine Zugehörigkeit zu
einem religiösen Bekenntnis als zentrales
identitätsstif-tendes
Moment wird in Kupelwiesers Zyklus mehrfach
nicht nur inhaltlich sondern auch formal aufgegriffen:
Im Taiding zu Tulln etwa wird Leopold der Glorreiche
als gerechter Herrscher in der Pose des Weltenrichters
gezeigt, wobei das Gemälde im klassischen
Komposi-tionsschema
eines Altarbildes in zwei Ebenen gegliedert
ist und so ein jüngstes Gericht oder salomonisches Urteil
evoziert. Das profane Geschehen der Gerichtsszene
erhält durch seine Darstellung in dieser
biblisch-heilsge-schichtlichen
Bildsprache eine
allgemein-weltgeschicht-liche
Dimension, die den Herrscher nobilitiert.
Als weiteres Beispiel sei ein Detail aus dem Gemälde
Die Türkenkriege angeführt: Bischof Kollonitsch, der sich
als einzige Beute aus dem verlassenen Türkenlager die
gefangenen christlichen Waisenkinder ausbittet, erscheint
im Gestus des Christus, der die Kinder um sich sammelt.
Die gesamte Darstellung der Türkenkriege wird durch
eine ahistorische Montage der drei Helden Salm,
Star-hemberg
und Prinz Eugen mit einem konkreten
histori-schen
Ereignis – dem Sturm auf die Löbelbastei – in eine
allegorische Dimension transzendiert und zum Sieg der
abendländischen christlichen Kultur stilisiert. Im
Erläu-terungstext
zu dem Freskenzyklus von 1891 findet sich
folgende Bildbeschreibung zu den Türkenkriegen:
„Von den vier […] Bildern enthalten zwei, die in Wiens
nächster Nähe ausgekämpften für Europa so erfolgreichen,
Siege über den Islam und über die Franzosen.705
,Katholische Frömmigkeit‘ als aktive Verteidigung christli
chen Herrschertums […] war […] ein Aspekt, der insbeson
dere in den Kämpfen gegen die Türken […] von Bedeutung
war, da sie als Synonym für den Kampf für ein christliches
Europa gelten konnten.“706
Dasselbe Motiv taucht – in einem anderen
geschicht-lichen
Zusammenhang – auch im Deckengemälde Die
Eroberung von Melk auf: Hier vertreibt Leopold I. die
Hun-nen
von Melk, um dann auf dem „Schutte heidnischen 703 Programmentwurf II, siehe Anhang.
704 Telesko (2006) p.
39.705
Kielmannsegg
(1891).706
Telesko (2006) p.
22.707
Ziegler (1838 – 1849) zu Bild Nr. 7: Die Stiftung der Abtei zu Melk 984.
708 Telesko (2006) p.
22.709
Wagner (1998 B) p.
45.710
Telesko (2006) p. 28.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306