Seite - 197 - in Das zusammengedrängte Gedenken
Bild der Seite - 197 -
Text der Seite - 197 -
197
die sich damit in die Landschaft selbst einschrieb. Ridler
verknüpft in seinem Beitrag Das Cetische Gebirge den
Kahlenberg mit einer ganzen Reihe geschichtlicher
Ereignisse von der Römerzeit bis zur Schlacht von Aspern:
„Als die Gränze zwischen Pannonien und Norikum war das
cetische Gebirge schon den Römern wichtig […]; In diesem
Gebirge lag Severins bescheidene Klause unter deren Ein
gang Odoachar gebückt den Apostel der norischen Völker
demüthig um seinen Segen bat […]. Auf dem nordöstlichen
Vorgebirge […] lag die Burg der Markgrafen von Österreich
[…] und Leopold der Heilige baute unten im Thale ein Stift,
das den Hut des Landesfürsten bewahrt […]. Das Kahlen
gebirge bot den Streifzügen der Mongolen und Osmanen eine
undurchdringliche Gränze dar und von seinen Anhöhen zog
Carl von Lothringen mit dem begeisterten Heere herab, um
die bedrängte Kayserstadt zu befreyen […]. Von der Stelle,
wo damahls Aviano den Segen des Himmels für die Waffen
der verbündeten christlichen Fürsten erflehte, erblickt man
die Königsburg, wo Theresia, den zarten Säugling auf dem
Arm, ein tapferes Volk zu Großthaten entflammte; auch das
weite Schlachtfeld, auf dem Österreichs tapfere Söhne die
Freyheit des Vaterlandes gegen die trotzige Übermacht
erkämpften. Aspern ist der erste Stern der […] die bangen
Völker mit neuen Hoffnungen beseelte.“721
Hier werden eine Reihe bedeutender Momente der
öster-reichischen
Geschichte auf einen konkreten Ort bezogen
und verdichtet.
„Dieses Gebirge ist der heilige Boden für die österreichische
Geschichte“722,
folgert
Ridler.Die
sagenhafte Babenberger Burg spielte bei der
Über-höhung
des Ortes eine besondere Rolle. Sie wird in
unter-schiedlichem
Kontext, oft in Zusammenhang mit dem
Ba-ben
berger Leopold III., dem Heiligen, erwähnt. So schrieb
Anton Ziegler in der Vaterländischen Bilder Chronik:
„Leopold [III., der Heilige, Anm.] stellte das, wahrscheinlich
schon zu den Zeiten der Römer, unter dem Namen Burgum
bekannte Schloß auf dem Kahlenberge wieder her, und befes
tigte es als eine Vormauer gegen die Ungarn, welche wieder
nach Österreich vordrangen.723
zeitlichen Achse und die damit verbundene stilistische
Vielgestaltigkeit und Heterogenität des Stephansdoms war
im 19. Jahrhundert Gegenstand zahlreicher, teilweise
hit-zig
geführter Debatten um eine mögliche Ergänzung bzw.
Rückführung in einen projizierten ursprünglichen Zustand
oder eine angenommene reine ideale Form. Implizit
wen-dete
sich Kupelwieser in seinem Gemälde gegen
denkmal-pflegerischen
Purismus und bekannte sich zu einer
Auffas-sung,
die spätere Zutaten, Umbauten und Umdeutungen
in das offene System eines sich durch die Zeit entfaltenden
Phänomens integrieren und als Bereicherung akzeptieren
konnte: Er reduzierte das Bauwerk nicht auf eine
Gründer-figur,
eine prägende Idee und Stil
epoche, sondern stellte
die drei Erbauer gleichberechtigt nebeneinander.
Als Umriss schafft der Stephansdom ein aus allen
Perspektiven wiedererkennbares Muster und prägt die
Stadtsilhouette wie kein anderes Bauwerk. So dient er in
der Schlacht gegen die Türken und im Aufgebot von 1797
im Hintergrund als Standortbestimmung in einer sonst
nicht eindeutig einordenbaren örtlichen Situation und
ist ebenfalls im Fensterausschnitt des Gemäldes Einset
zung der niederösterreichischen Regierung sichtbar.
So wie der Stephansdom Wien einmalig und
unver-wechselbar
als Ort markiert, wurde das weitere Umland,
das Wiener Becken bis zu den Karpaten, von einer
Pers-pektive
bestimmt: Der Blick vom Kahlenberg wurde zum
Landschaftspanorama des 19. Jahrhunderts schlechthin.
Franz Grillparzer schrieb:
„Hast du vom Kahlenberg das Land dir rings besehen/So
wirst du was ich schrieb und wer ich bin verstehen.“718
Von Kaiser Franz I. wurde folgende bezeichnende
Anek-dote
überliefert:„Auch
unsern trefflichen Landesvater Franz, diesen erhabe
nen Naturfreund, überraschte diese reizende unermeßliche
Aussicht, als er im Jahre 1797 den Wohnsitz der erlauchten
Babenberger besuchte, so sehr, daß er ausrief: ,Wahrlich dieß
ist die schönste Aussicht in Österreich!‘“719
Bei Kupelwieser fand eine Umkehrung des Blicks hin zum
Kahlenberg statt, der durch seine Lage und seine
histo-rische
Bedeutung als Landschaftsdenkmal geographische
Wahrnehmung und geschichtliche Erinnerungsmuster
kennzeichnete. Als Ort der legendären Babenberger
Burg720, im 19. Jahrhundert als Stammsitz Leopolds III.
(des Heiligen) gedeutet, und durch die Ereignisse
wäh-rend
der zweiten Türkenbelagerung, als das Entsatzheer
unter Johann Sobieski über den Kahlenberg anrückte
und in der Kapelle auf dem Kahlenberg die letzte Messe
vor der Schlacht gelesen wurde, wurde die Erhebung an
der Donau zu einem symbolisch aufgeladenen Ort, einem
bedeutungsvollen Verweis auf österreichische Geschichte, 718 Tagebuch-Eintrag von Franz Grillparzer, zit. nach: Bruckmüller
(1996) p. 93.
719 Kunike (1826) p.
15.720
Nach Lechner ist die angebliche Markgrafenburg auf dem
Kah-lenberg
(dem heutigen Leopoldsberg) ins Reich der Fabel zu
verweisen. Eine Burg auf dem Leopoldsberg ist nach heutigem
Erkenntnisstand erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts gesichert
(Vgl.: Lechner 1976, p.
124.).721
J. W. Ridler: Das Cetische Gebirge. In: Hormayr (1811 – 1854), 4. Jg.
(1814) p.
267f.722
Ebd. p.
267.723
Ziegler (1843 – 1849) 1. Bd., p. 187.
zurück zum
Buch Das zusammengedrängte Gedenken"
Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306